Donnerstag, 18. Dezember 2008

Realistisch, knapp und ironisch

Autorin Dorothea Friedrich liest im Presseclub

Von Richard Lifka

WIESBADEN Wenn im Dezember im Wiesbadener Presseclub ein Glöckchen klingelt, so deutet dies nicht nur darauf hin, dass Weihnachten vor der Tür steht, sondern auch die letzte von 40 Veranstaltungen des Jahres beginnt. Geläutet hatte Kurier-Feuilletonchefin Viola Bolduan, um dann den zahlreichen Gästen die Akteure des Abends vorzustellen. Die Journalistin und Buchautorin Dorothea Friedrich war gekommen, um über ihre Bücher, ihre Tätigkeit bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und für ihre Art des Schreibens Rede und Antwort zu stehen und natürlich auch Kostproben aus ihren Texten vorzutragen. Für die stimmungsvolle musikalische Umrahmung sorgten Franziska Ferdinand (Geige) und Raphaela Queck (Klavier), zwei Schülerinnen des Gutenberg-Gymnasiums und der Musik- und Kunstschule.

Die in Heidelberg geborene Friedrich studierte in München und arbeitete dann bei verschiedenen Zeitungen und Rundfunksendern. Mit Texten über berühmte Liebespaare wurde sie als Buchautorin bekannt. Besonders ihr Buch über die Ehe des Filmstars Anny Ondra mit dem deutschen Boxweltmeister Max Schmeling belegt die präzise und intensive Arbeit der Autorin. Viele unbekannte Details werden enthüllt, und durch ihren schonungslos realistischen, knappen und oft ironischen Stil werden die faktischen Grundlagen ihrer Recherche zu einem Lesevergnügen.

Aber es gibt auch kürzere Texte von ihr. Aus dem Sammelband "Berühmte Liebespaare" las die Autorin die Beziehungsgeschichte zwischen Stummfilmstar Gloria Swanson und Joseph Patrick Kennedy. Der Inhalt des Textes, nämlich die ungeschminkte Wahrheit über den Gangster und Begründer des Kennedy-Clans, stand im starken Kontrast zum, leisen, fast emotionslosen Vortrag. Eine andere, aber durchaus nicht glücklichere Liebesbeziehung, schildert der Text über das Liebespaar Simone Signoret und Yves Montand. Schade, dass ein Abend so schnell zu Ende geht.

Montag, 8. Dezember 2008

Originelle Poetin mit eigenständigem Tonfall

Originelle Poetin mit eigenständigem Tonfall

George-Konell-Preis an Silke Scheuermann


Von Richard Lifka

WIESBADEN Es ist schon merkwürdig: Da verleiht die Stadt Wiesbaden alle zwei Jahre einen hochdotierten und angesehenen Literaturpreis, und es scheint nur wenige Menschen zu interessieren. Woran das liegt?

Sicherlich nicht am festlichen Programm. Der große Festsaal des Rathauses ist ein würdiger Ort, die Begrüßungsworte durch den Oberbürgermeister Helmut Müller, die Anwesenheit von Kulturreferentin Rita Thies und mehreren Magistratsmitgliedern unterstrich die Bedeutung, und die stimmungsvolle Untermalung durch das Klarinetten Trio der Musik- und Kunsthochschule gab der Veranstaltung einen feierlichen Rahmen.

Schon zum zehnten Mal wurde der von der Witwe des Wiesbadener Schriftstellers Georg Konell gestiftete Preis an eine Autorin oder einen Autor für sein Lebenswerk oder für ein vielversprechendes Talent vergeben. Auch an den Preisträgern kann es nicht liegen. Mit Gudrun Pausewang (1998), Stefan Kaluza (2000), Katja Behrens (2002), Ricarda Junge (2004) und Peter Kurzeck (2006) waren es weder Eintagsfliegen noch unbekannte Schriftsteller, die mit dem Preis ausgezeichnet wurden.

Dieses Jahr hatte sich die Jury für die 35-jährige in Frankfurt lebende Autorin Silke Scheuermann entschieden, die seit ihrem Lyrik-Debüt "Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen" (2001) mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde und als eine der wichtigsten literarischen Entdeckungen der letzten Jahre gefeiert wird.

So bezeichnete sie auch der Literaturkritiker Uwe Wittstock in seiner Laudatio als eine hochbegabte Schriftstellerin und eine originelle Poetin. Besonders ausführlich ging er auf den "biografischen Vampirismus" ein, das Motiv, das sich wie ein roter Faden durch das bisherige Werk der Schriftstellerin ziehe. Mit ihrem zeitdiagnostischen Erzählen in den Prosatexten (Wittstock) und dem eigenständigen Tonfall ihrer Lyrik (Jury) sei sie eine würdige Preisträgerin, was Silke Scheuermann anschließend mit dem Vortrag der Gedichte "Träumende Bücher" und "Die Art, wie Gedichte arbeiten" beeindruckend unter Beweis stellte.

Samstag, 6. Dezember 2008

Eichhörnchen als gewissenlose Mörder

Lesung mit Markus Bennemann im Pressehaus
Von Richard Lifka

WIESBADEN In der Reihe "Buch Habel bei Kurier Kultur" fand die letzte Veranstaltung in diesem Jahr weihnachtsgeschäftsbedingt im Pressehaus statt. Unter die zahlreichen Besucher hatten sich neben Tierliebhabern, Krimifans auch Journalisten gemischt. Nicht von ungefähr. Galt es doch, dem ehemaligen Redakteur beim Wiesbadener Kurier Markus Bennemann bei der Vorstellung seines aktuellen Buchs neugierig-gespannt zuzuhören und von dessen Ermittlungsergebnissen bei 42 Mordfällen zu erfahren.

Selten verlief eine Buchvorstellung über grausame Tötungsdelikte und perfide Mordpläne derart locker und humorvoll. Schon die witzig-ironischen Fragen von Kurier-Feuilletonchefin Viola Bolduan, die den Abend moderierte, ließen deutlich erkennen, welchen Spaß und Eindruck die Lektüre des Sachbuchs "Im Fadenkreuz des Schützenfischs" gemacht und hinterlassen haben. Fasziniert lauschten die Zuhörer, wenn der Wiesbadener Autor vom Massenmörder Marienkäfer berichtete - oder wie hinterhältig-raffiniert Glühwürmchenfrauen beim Anlocken ihrer Opfer agieren.

Als Bennemann dann auch noch die herzigen Eichhörnchen als brutale und gewissenlose Mörder von Vogelküken enttarnte, ging nicht nur ein Aufschrei durch die Eichenhörnchenschutzgemeinschaft, die sich vehement gegen die Diffamierung ihres Lieblingstierchens wehrte, sondern wurde auch so mancher Kopf im Pressehaus ungläubig hin und her gewiegt. Genau hier scheiden sich die Geister beziehungsweise die eigenen Empfindungen. Indem wir unsere menschlichen Moralvorstellungen auf die Tierwelt übertragen, entsteht dieser Zwiespalt zwischen der Faszination über den Erfindungsreichtum der Natur und der Erkenntnis der brutalen Lebensrealität im Kampf um Erhaltung und Fortpflanzung der jeweiligen Art. "Im Fadenkreuz des Schützenfischs" werden neueste wissenschaftliche Ergebnisse dargestellt und somit faktisches Wissen vermittelt. Zusammen mit der verständlichen, ironischen und unterhaltsamen Darstellungsweise bleiben beim Leser keine Wünsche offen - außer vielleicht noch weitere Geschichten von tierischen Täter und Opfern in einem nächsten Band lesen zu dürfen.

Markus Bennemann: "Im Fadenkreuz des Schützenfischs. Die raffiniertesten Morde im Tierreich"; Eichborn, Frankfurt; 256 Seiten; 19,95 Euro.

Donnerstag, 4. Dezember 2008

Tatorte Hessen. Hochprozentig



"Der neue Band der 'Tatorte Hessen' riecht nach Hochprozentigem: In einem Mix hessischer Kurzkrimis - angereichert mit Cocktailrezepten zum Nachmixen - schicken die Autoren ihre 'Helden' durch Hessen. Ein von seinen Redaktionen ausgebremster und von seiner Freundin verlassener Frankfurter Journalist landet zwecks Ermittlungen in Kronberg. Und ein Frankfurter Kurzkrimi endet im Nordend - trotz oder gerade wegen der Lynchburg Lemonade aber nicht so mörderisch, wie es zunächst scheint. Ob der Kurzkrimi in Wiesbaden oder Richelsdorf bei Bad Hersfeld spielt: Immer gibt es zum Lokalkolorit auch noch einen Cocktail.
Lothar Ruske (Hg.): 'Tatorte Hessen. Hochprozentig', Societäts-Verlag Frankfurt am Main, 240 Seiten, 14,80 Euro"

Donnerstag, 30. Oktober 2008

Solo für die Hinterbliebenen


Autoren-Quartett Elka Vrowenstein pausiert

Zehn Jahre ist es her, dass Gisela Winterling, Katharina Pauly, Joachim Biehl und Richard Lifka in Frauenstein die Autorengruppe Elka Vrowenstein gegründet haben. Ein Jahr später kam ihr erster in der Lokalpolitik angesiedelter Kriminalroman auf den Markt.

Sie waren die Vorreiter der Wiesbadener Krimiszene: Zehn Jahre ist es her, dass Gisela Winterling, Katharina Pauly, Joachim Biehl und Richard Lifka in Frauenstein die Autorengruppe Elka Vrowenstein gegründet haben. Ein Jahr später kam ihr erster gemeinsam geschriebener und in der Lokalpolitik angesiedelter Kriminalroman auf den Markt: "Wiesbadener Roulette". Dem kurzweiligen Erstling folgten "Wiesbadener Turnier" und "Wiesbadener Theater".

Von dem Quartett, das sich immer donnerstags in der Schreiberwerkstatt in Frauenstein (Vrowenstein) traf, sind heute nur noch zwei übrig: der von Agatha Christie angefixte Apotheker Joachim Biehl und Richard Lifka, der lieber Krimis schreibt als Lehrer zu sein.

"Uns sind die Frauen abhanden gekommen", sagt der freie Autor und Journalist Lifka. Die Frauen leben noch, allerdings im Ausland. Pauly stieg bereits beim "Wiesbadener Turnier" aus, Winterling verließ die Runde bei der Arbeit am dritten Gemeinschaftsroman, dem "Wiesbadener Theater".

Privatdetektiv im Ruhestand

Unter dem Autorennamen Elka Vrowenstein haben Biehl und Lifka zwar noch den Roman "Formel Blau" und den Kurzkrimi-Band "Blaue Kapelle" veröffentlicht - aber ohne das Stammpersonal der drei ersten Romane. Privatdetektiv Frederic Feuerbach ist abgetaucht. "Wir haben ihn in den Ruhestand geschickt , zumindest vorläufig", sagt Lifka. Eine Rückkehr der Spürnase sei nicht ausgeschlossen, dann soll auch Elka Vrowenstein wiederbelebt werden.

Bis dahin toben sich die Vrowenstein-Hinterbliebenen alleine oder gemeinsam auf dem Krimisektor aus. Ihr jüngstes Gemeinschaftswerk "TeufelsOhr" spielt in Afghanistan, in Berlin und in Peking. Eine Geschichte, die Machenschaften der Geheimdienste aufdeckt und hinter die Kulissen des Kanzleramts blickt.

Lifka sitzt an einem Kriminalroman, den er erstmals alleine schreibt. Handlungsorte sind Wiesbaden und das Rhein-Main-Gebiet. Mehr verrät er nicht. Eventuell kommt das Buch Ende nächsten Jahres auf den Markt.

Lifka ist Mitglied in der Vereinigung deutschsprachiger Krimi-Autoren "Das Syndikat" und gehört der Jury an, die den höchsten Krimipreis Deutschlands, den "Glauser-Preis", vergibt.

Krimiserien aus dem Vorabendprogramm des Fernsehens interessierten den Krimiexperten nicht, historische Krimis mag er auch nicht. Sein Anspruch: Ein Krimi - egal ob reißerisch oder literarisch - soll die Gesellschaft der Gegenwart abbilden und muss "gut ausgehen". Das Böse müsse überführt werden, sagt Lifka, der erst als Referendar an Schulen in Hofheim und Flörsheim erkannte, dass Lehrer zu sein nicht seine Berufung ist.

Der 53-Jährige, der in Mainz und Frankfurt Germanistik, Politik, Geschichte und Soziologie studierte, hat hohe Ansprüche an die Unterhaltungsliteratur. Einen Krimi-"Guru" jedoch hat der regelmäßige "Tatort"-Gucker nicht.

Montag, 22. September 2008

Wo, in Zeus´ Namen, liegt Kilikien?

Raoul Schrott beim Rheingau Literatur Festival

Von Richard Lifka

GEISENHEIM Was ist los, wenn sich zweihundert Menschen bei Kerzenlicht im Gewölbe der Sektkellerei Bardong in Geisenheim versammeln und bei stickig-warmer Luft über zwei Stunden lang gebannt ausharren? Ein mit Tiroler Akzent sprechender Mittvierziger betritt die Bühne und wird vom Publikum des Rheingau Literatur Festivals wie ein Popstar empfangen. Er ist kein Sänger, trägt aber einen Gesang vor, ist kein Prediger, spricht aber über Götter, ist kein Politiker, berichtet aber von blutigen Schlachten. Vor allem ist er kein Revolutionär, schreibt aber das Skandalbuch des Jahres.

Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Raoul Schrott hat nichts anderes getan als schon viele vor ihm. Er hat ein 2500 Jahre altes Werk übersetzt. Das in 24 Gesänge aufgeteilte Epos heißt "Ilias", und den Autor nennen wir Homer. Obwohl das nicht sein Name war, stellt Raoul Schrott sofort klar, als Moderator Heiner Boehncke seine erste Frage stellt. Wie von Athene geküsst, löst die knappe Frage einen Redeschwall des Gastes aus. Den Zuhörern schwirrt der Kopf, was da an Wissen, Ideen und Forschungsergebnissen auf sie einprasselt - und so verständlich, dass auch derjenige, dem die griechische Mythologie bisher eher verschlossen geblieben war, Lust bekommt, sich mit dem Trojanischen Krieg, Achilleus, Agamemnon und wie die Urväter der europäischen Kulturgeschichte alle heißen, zu beschäftigen.

Populistisches Gehabe nennen das Schrotts Gegner, renommierte Altphilologen, Althistoriker und Schliemanns Erben. Schrotts Thesen haben deren Homer-Bild und Wissen über den abendländischen Ursprungsmythos stark ins Wanken gebracht. Da gibt es auch einiges zu diskutieren. Homer sei kein Grieche gewesen, sondern ein assyrisch gebildeter Schreiber, die Trojanischen Kriege hätten nicht in Troja stattgefunden, sondern in der kilikischen Ebene. Kilikien, in der türkischen Kniebeuge zu Syrien hin gelegen, sei Homers Heimat, und dort spiele sein Epos. Schrotts Buch "Homers Heimat" hat den gesamten Kulturbetrieb aufgemischt.

Genauso umstritten ist die Übersetzung: Der heutigen Sprache nahe gebracht, ist verzeihlich, aber auch dem heutigem Geist - ist das nicht ein Sündenfall? Aus diesem Sündenfall las Schrott eine Stunde lang vor, manchmal in Altgriechisch, zumeist jedoch in seinem Deutsch. Und das faszinierte. Weitere Gäste des Festivals waren an diesem Wochenende: Jenny Erpenbeck, Jan Seghers und Oliver Bock.

Samstag, 20. September 2008

Wenn ich über Liebe schreibe ...

... denke ich an den Tod

Lesung mit Schriftstellerin Keto von Waberer im Literaturhaus
Von Richard Lifka

WIESBADEN Die Aufrechterhaltung der Lebensqualität von Menschen, die unheilbar erkrankt sind, die nur noch eine begrenzte Lebenserwartung haben, ist das Hauptziel der Palliativmedizin. Ein Kongress dieser Mediziner tagt zurzeit in Wiesbaden und wird mit einer vom Kulturamt organisierten Veranstaltungsreihe umrahmt. Dass es dabei um Fragen des Sterbens, den Umgang mit Tod und den Verlust geliebter Menschen geht, ist zwangsläufig. Ein Thema, das schon immer Gegenstand von Literatur war und ist. Das Wiesbadener Literaturhaus hatte dazu die in München lebende Schriftstellerin Keto von Waberer geladen.

Zwei ihrer Werke stellte sie in Auszügen vor und diskutierte mit dem vorwiegend weiblichen Publikum unter Moderation der Journalistin Shirin Sojitrawalla darüber. In ihrem Buch "Schwestern" thematisierte die Autorin den realen Tod ihrer Schwester, um die dadurch ausgelöste eigene Lebenskrise zu verarbeiten. Aber auch, um das Leben dieses geliebten Menschen der Gefahr des Vergessenwerdens zu entreißen. "Ich bin der Chronist der Geschichte meiner Schwester." Natürlich sieht Keto von Waberer die Problematik einer derartigen "Betroffenheitsliteratur" und erklärte sehr anschaulich, wie der Schreibprozess dazu führt, dass am Ende die Autorin selbst nicht mehr weiß: Was sind in dem Erzählten wahre, was sind erfundene Erinnerungen? Ihr aktuelles Buch "Umarmungen" ist eine Sammlung von zwölf Erzählungen.

Geschichten, "natürlich mit Tod, irgendwie", die das Thema der Unmöglichkeit des immerwährenden Glücks umkreisen, die einzelne Karten des "Memory-Spiel des Lebens" aufdecken. Die Erzählung "Stella", die die Schriftstellerin vorlas, beeindruckte durch die Bilder, die sie hervorrief und die in den Köpfen der Zuhörer in den Räumen des Presseclubs einen sehr individuellen Film ablaufen ließen.

Die anschließende Diskussion über den Umgang mit Sterben und Tod in unserer Gesellschaft - beispielsweise im Vergleich zu aztekischen Trauerritualen (Keto von Waberer lebte für mehrere Jahre in Mexiko) - zeigte, wie wichtig es ist, darüber zu schreiben, um offen über das Thema sprechen zu können.

Keto von Waberer: "Umarmungen", Berliner Taschenbuch Verlag, 2007; 160 Seiten 7,50 Euro.

Montag, 25. August 2008

Anspruchslosigkeit, Fröhlichkeit und -

natürlich - Liebe

Schauspieler Bernd Ripken bei den Burghofspielen: "Aus dem Leben eines Taugenichts"
Von Richard Lifka

ELTVILLE Ein Taugenichts ist ein Mensch, der zu nichts taugt oder einen Lebensstil pflegt, der niemandem etwas nützt. In der Literatur, vorrangig des 19. und 20. Jahrhunderts, wurden auch Nachkommen bürgerlicher Familien mit diesem Namen bedacht, die sich nicht der Familientradition anschlossen, bürgerliche Berufe zu ergreifen, sondern sich entschlossen, eigene Wege zu gehen. Einen der berühmtesten aller Tunichtgute hat Joseph von Eichendorff geschaffen und ihn in einer Novelle aus seinem Leben erzählen lassen. Das Geschehen wird aus der Ich-Erzähler-Perspektive geschildert, so dass der Leser lediglich die subjektive Schilderung des Geschehens erfährt und somit auch in die Gefühls- und Gemütslage des Helden eingebunden ist. Die wiederum steht im Wechselspiel zwischen herrschendem Naturzustand und dem Befinden der Menschen um ihn herum.

Welcher Text könnte geeigneter sein, ihn im Freien, so im Langwerther Hof in Eltville, im Wechselspiel des Wetters, von stechender Sonne bis böigem Wind, musikalisch begleitet, vorgetragen zu werden. Der jeweiligen seelischen Verfassung des Taugenichts Rechnung tragend, ließen Jana Bousková ihre Harfe und Roman Novotny seine Querflöte lustig, quirlig singen oder traurig, dunkel klagen.

Hervorgerufen wurden diese wechselnden Stimmungslagen von Schauspieler Bernd Ripken. Gelassen im Ledersessel sitzend, las er die ersten beiden Kapitel von "Aus dem Leben eines Taugenichts" und entführte im Nu nicht nur sich, sondern auch die Musiker und das Publikum in die Welt eines jungen Mannes, der gegen den Erwartungsdruck des Vaters ziellos in die weite Welt sich schickt, um sein Glück zu machen. Glück, das für einen Taugenichts bedeutet: Anspruchslosigkeit, Fröhlichkeit und - natürlich - Liebe.

Sonntag, 17. August 2008

Hintergründiger Humor aus einer Traumstadt und Irrenanstalt

Literarisch-musikalische Matinee mit Rosemarie Fendel und Olaf van Gonnissens
Von Richard Lifka

Wer bis jetzt den Münchner Dichter Peter Paul Althaus noch nicht kannte, der hat ihn bei den diesjährigen Rheingauer Bughofspielen kennengelernt. Nicht nur kennengelernt, sondern sicherlich auch ins Herz geschlossen. An dem, was im Langenwerher Hof zu Eltville, zwei Stunden lang an beißend ironischen Texten mit hintergründigem Humor in gereimten Unverschämtheiten auf die vielen Zuhörer niederprasselte, wird noch lange zu knappern sein. Denn durch den scheinbar unerschöpflichen Humor des P.P.A., wie sich der Kabarettist selbst nannte, schimmerte oft große Wehmut und Melancholie. Unvergleichlich einfühlsam von der Schauspielerin Rosemarie Fendel vorgetragen, wurde den nun schon über 50 Jahre alten Texten Leben eingehaucht, wurden sie jung, frisch und aktuell. Unter welch innerlichen Qualen der Dichter seine humorvollen Werke hervorbrachte, lässt sich schon allein aus dem Motto ablesen, unter dem die literarisch-musikalische Matinee stand: "Wirklich lebe ich nur nachts in meinen Träumen". In diesen Nächten lebte Althaus in einer eigenen Welt, "In der Traumstadt" (erschienen 1951). Fendel, die zurückhaltend und nervös begann, steigerte sich mit jedem Gedicht, tauchte immer tiefer in die Traumwelt des Dichters ein und brillierte dann mit Texten aus "Dr. Enzian" (1952). Nach der Pause entführte sie das Publikum in eine Irrenanstalt, voll besetzt mit "sanften Irren" (1956). "Wir sanften Irren leben etwas hinterm Mond / wir haben seine andre Seite oft betrachtet. / Wir sind das Leben hinterm Mond gewohnt; / es ist dort immer etwas leicht umnachtet." Gespannt lauschend erfuhren die außerhalb dieser Anstalt Lebenden, nicht nur, warum die sanften Irren die Tageszeitung verkehrtherum halten, sondern beispielsweise auch, dass Gottes Anschrift nicht im Adressbuch eines Marsianers steht. Die Spannung konnten auch laut krächzende Krähen (es klang fast zustimmend), läutende Glocken oder sich im Landeanflug befindliche Flugzeuge nicht unterbrechen. Noch gesteigert wurde sie durch die akustische Gitarre Olaf van Gonnissens, der die Texte musikalisch untermalte, manchmal mit ihnen Zwiesprache hielt und fein abgestimmt Fendels Vortrag begleitete.

Dienstag, 10. Juni 2008

Eine unheimliche „Schöne Geschichte“

Ricarda Junge stellte im Presseclub ihren neuen Roman vor
Von Richard Lifka

„Lieben kann man nur, wenn man nicht an den Tod denkt“, sagt der Freund der Ich-Erzählerin Marie im ersten Abschnitt des neuen Romans von Ricarda Junge. Aber wie sollte Marie den Tod vergessen, wenn das „Zischen aus ihrer Lunge“ sie stets an ihn erinnert. Trotz sommerlicher Schwüle und Fußballfieber waren viele Besucher der Einladung des "Fördervereins Wiesbadener Literaturhaus Villa Clementine" gefolgt, um in den Räumen des Presseclubs „Eine schöne Geschichte“ zu hören, eine Geschichte von der Suche nach Leben und Liebe, vom Verlieren und Wiederfinden. Aber nicht nur Maries Intensität der Gefühle, angesichts ihres bevorstehenden Todes, wirken unheimlich. Sie und ihre Freundin Colina studieren in einer namenlosen Stadt, in der Menschen und Häuser verschwinden, in der im nächsten Moment nichts mehr so ist, wie zuvor. Dennoch geht nichts verloren, alles taucht wieder auf, an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit. Marie hat die Liebe gefunden. Unerschütterlich glaubt sie daran, trotz aller Irrwege und der ständigen Angst vor dem Verlust. Dieses Verlieren- und Wiederfinden-Szenario wiederholt sich im zweiten Erzählabschnitt, nun jedoch in einem geschlossenen Raum, einem mysteriösen Hotel. Nur Frauen dürfen die Hotelzimmer bewohnen, Männer werden im Keller untergebracht. Die Geschehnisse und Beschreibungen eines Geheimganges überspringt die Schriftstellerin zwei Mal bewusst und weist die gespannt lauschenden Zuhörer daraufhin. Sicherlich, kein leicht zu lesendes Buch, aber ein Roman, dessen Rhythmus und Sprachklang den Leser in seinen Bann zieht und nicht mehr los lässt. Im anschließenden Gespräch, mit der wie immer souverän moderierenden Feuilletonisten Viola Bolduan, machte Ricarda Junge klar, dass im Schreib- und Überarbeitungsprozess ein Text mit Eigenleben entsteht, dessen Wirkung vom Autor nicht zu überblicken ist. Nach diesem unbeschreiblichen Geschehen, wisse das Buch mehr als dessen Urheber. Dieses Wissen zu nutzen und zu erkennen ist nun die Aufgabe des Lesers, des Kritikers und des Literaturwissenschaftlers.
Info: Ricarda Junge: "Eine schöne Geschichte", S. Fischer Verlag, 256 Seiten, 17,90 Euro

Dienstag, 20. Mai 2008

„Trio mortale“ - Wiesbaden vergibt Krimistipendien

Literarischer Austausch unter den Autoren soll gefördert werden
(20.05.08) Wiesbaden - Auf Initiative von Kulturdezernentin Rita Thies wird Wiesbaden ab dem Jahr 2009 jährlich ein je vierwöchiges Aufenthaltsstipendium an drei Krimiautorinnen beziehungsweise Krimiautoren vergeben. „Trio mortale“ heißt das Motto, denn die Drei werden zu gleicher Zeit in die Stadt eingeladen. Das Stipendium ist pro Autor/Autorin mit 2.500 Euro dotiert. Die Unterkunft in den neu hergestellten Appartements im Dachgeschoss des Literaturhauses „Villa Clementine“ ist mietfrei. Zusätzlich trägt das Kulturamt die Kosten für An- und Abreise.Die Kulturdezernentin der Landeshauptstadt erläutert die Hintergründe: „Wiesbaden hat sich seit einigen Jahren mit der Etablierung des Wiesbadener Krimiherbstes und des Fernsehkrimifestivals einschließlich der Verleihung des Deutschen Fernsehkrimipreises zu einer veritablen Krimistadt entwickelt. Berühmte internationale Autorinnen und Autoren, wie Doris Gercke, Ingrid Noll, Sara Paretsky, Polina Daschkhova, Veit Heinichen, Frank Schätzing oder Felix Huby waren auf Einladung des Wiesbadener Literaturhauses beziehungsweise des Kulturamtes ebenso zu Gast wie Autoren aus Wiesbaden oder der Region, wie etwa Alexander Pfeiffer und Richard Lifka oder Jan Seghers. Das Programm des Krimiherbstes wird außerdem von zahlreichen Wiesbadener und regionalen Kulturinstitutionen, Buchhandlungen und Verlagen durch Krimipreise und Veranstaltungsreihen bereichert. Dass der Krimi ein hochaktuelles Genre ist, zeigt sich daran, dass er sich als sensibler Seismograph für im Wandel begriffene gesellschaftliche Wertvorstellungen erwiesen hat und auf aktuelle und kontrovers diskutierte Themen reagiert“.Das Aufenthaltsstipendium vermag das Schreiben von Krimis nachhaltig zu fördern. Die Autorinnen und Autoren können die in dieser Zeit gesammelten Eindrücke in Plots erproben, sich untereinander und mit Schriftstellern aus Wiesbaden und der Region austauschen. Außerdem entsteht dadurch ein Forum in der Stadt, das die Autoren in Kontakt mit den Lesern bringt. Dazu kommt, dass Wiesbaden als Stadt für Autoren durch das Bundes- oder auch das Landeskriminalamt interessante Recherchemöglichkeiten bietet. In diesem Sinne vermag dieses genrespezifische Stipendium die deutschsprachige Literaturlandschaft zu bereichern.Ziel dieses bewusst auf vier Wochen begrenzten Aufenthaltsstipendiums ist es, die Entstehung von Kriminalliteratur sowie den professionellen Erfahrungsaustausch unter Krimiautorinnen und -autoren zu fördern. Die drei Stipendiaten sollen nämlich gleichzeitig die Stipendiatenwohnungen im Literaturhaus Villa Clementine beziehen, damit der literarische Austausch unter den Autoren gefördert werden kann – außerdem sollen die Stipendiaten durch honorierte Lesungen im Literaturhaus oder Schreibworkshops in die literarische Szene der Stadt eingebunden werden. Darüber hinaus soll von den im Zeitraum von drei Jahren geförderten Autorinnen und Autoren, insgesamt neun Personen, während ihres Aufenthaltes ein Krimi geschrieben werden. Eine Geschichte, in der die spannende Suche nach dem Täter an bekannte Orte in und um Wiesbaden führt oder von diesen inspiriert ist. Mit dem Einstieg in den Krimi wird ein/e bekannte/r Autor/in beauftragt; die Geschichte wird dann durch die Stipendiaten während ihres Aufenthaltes weitergeführt. Insgesamt arbeiten so zehn Autorinnen/ Autoren an einem Buch. Die Stadt Wiesbaden erhält von den Autoren das Recht zum einmaligen Abdruck dieses Krimis.Die Vergabe der Stipendien erfolgt nach inhaltlichen und qualitativen Gesichtspunkten: Ziel ist es, sowohl erfolgreichen als auch noch eher unbekannten Autorinnen/Autoren ein Forum für den Austausch untereinander als auch mit dem Publikum zu schaffen.„Geplant ist, dass die ersten Aufenthaltsstipendien im Frühjahr 2009 an Mitra Devi, Tatjana Kruse und Oliver Bottini gehen, die beim Krimiherbst 2007 mitgewirkt“, sagt Dezernentin Thies. (hbh)

Freitag, 16. Mai 2008

Die lakonische Erzählung einer Existenzvernichtung

Annette Pehnt las im Museum aus ihrem Roman „Mobbing“
Von Richard Lifka

Zwischen „Schwalbenflug der Sonne entgegen“ und „In der Weltkugel gefangen“, Bildern der Malerin Rebecca Horn, saß die diesjährige Inhaberin der „Poetikdozentur: junge Autoren“ der Wiesbadener Fachhochschule Annette Pehnt und stellte ihren Roman „Mobbing“ vor. Da das Literaturhaus wegen Renovierungsarbeiten geschlossen ist, wurde die Veranstaltung ins Museum verlegt. Atmosphärisch und optisch sicherlich ein Genuss, akustisch eine Qual. Trotz Mikrofon und Verstärkeranlage (oder gerade deswegen?) flogen viele Wörter und Sätze vielleicht der Sonne entgegen, aber nicht in die Gehörgänge der vielen Besucher. Das war schade, denn die Autorin hatte viel zu erzählen, animiert durch sehr gezielte Fragen der gut vorbereiteten Moderatorin Shirin Sojitrawalla. Das Gespräch machte deutlich, warum das aktuelle Werk der in Köln geborenen Autorin, in der Kritik so unterschiedlich aufgenommen wurde. Einerseits beteuerte Pehnt, dass die Distanz zum Thema große Bedeutung habe, um ordentlich mit der Sprache umgehen zu können, andererseits gestand sie, dass sie selbst mit einem Fall von Mobbing in der eigenen Familie konfrontiert worden sei, auch noch während der Arbeit an diesem Buch. So erinnert eine Kritikerin der „Zeit“ „Mobbing“ eher an einen Ratgeber als an die „Sphäre überlebensfähiger Prosa“, wohingegen in der „FAZ“ zu lesen war: Erst bei aufmerksamer Lektüre bemerkt man, die „subtile Raffinesse, mit der Pehnt hier schreibt“. Genau diese Widersprüchlichkeit macht das kleine Büchlein so interessant. Durch die subjektive Sichtweise, nicht des Mobbing-Opfers, sondern dessen Ehefrau und den unspektakulären Erzählstil, bleibt das Thema in der Schwebe, auch über den Schluss hinaus. All unser Wissen stammt vom Opfer. Von ihm erfahren wir, warum es sich gemobbt fühlt. Glauben wir ihm? Die vorgelesenen Passagen verdeutlichten jedenfalls sehr eindrucksvoll, wie dieses Phänomen unserer modernen Gesellschaft die Betroffenen zerstören und Familien vernichten kann.
Info: Annette Pehnt: "Mobbing", Piper Verlag, 160 Seiten, 16,90 Euro

Sonntag, 20. April 2008

CRIMINALE im Siebten - im Café Portrait

Und nun wird´s ernst; denn es geht um Mord und Totschlag! 220 deutschsprachige KrimiAutorInnen trafen sich vergangene Woche, das erste Mal in Wien, im Rahmen der diesjährigen CRIMINALE. Sie präsentierten ihre neuen Kurzgeschichten und Romane.

Wir wählten von den fünf Veranstaltungsorten - das Literaturhaus, das Kosmos Theater, die Rote Bar im Volkstheater, das Cafe Portrait und in die Hauptbücherei - eine Lokation aus, wo Neubauer Rundfunk noch nie war: Das Café Portrait, in der Burggasse 28-32.Spannende Hör-Blicke für Sie, hier und jetzt:Richard Lifka liest aus seinem neuen Buch “Teufelsohren“, erschienen beim Brücken Verlag;Barbara Krohn “Was im Dunkeln bleibt“, erschienen beim Goldmann Verlagund
Harry Luck ” Absolution“, erschienen beim KVB Verlag.Den begehrten Friedrich Glauser-Preis hat übrigens die Wienerin Lilian Faschinger gewonnen mit ihrem Buch “Stadt der Verlierer”. Gratulation!