Mittwoch, 28. November 2012

Ein Dobermann schnüffelt mit

 

Wiesbaden . Gottseidank kann der Hund zum Schluss wieder sprechen, schreiben und zubeißen. Man konnte schon Sorge haben, dass das schöne Tier von der einen in die andere Hand der Autoren gereicht irgendwann und -wo auf der Strecke bleibt. Dabei ist Dobermann Mo doch die reizendste Erfindung der Kettenkrimi-Schreibenden unter Dostojewskis Erben.
Und Kettenkrimi-Schreiben geht so: 16 Autorinnen und Autoren, lokal verankert in Wiesbaden und im Literaturhaus-Café, wo sich einige regelmäßig als Dostojewskis Erben treffen, wollten mal wieder gemeinsam arbeiten. Und zwar alle an einem Manuskript. Aber nicht übereinander gebeugt, sondern nacheinander sitzend. Einer fängt an und gibt sein Stück weiter an den Nächsten, der es weiterdrehen muss. Eine Woche ist Zeit, dann ist nach zwei Teilen der Dritte dran, und so weiter und so fort. Den Letzten beißen dann die Hunde. In diesem Fall des "Agenten-Roulette" glücklicherweise. Tappte der Dobermann doch schon recht früh hinein in den blutigen Tatort und erschnüffelte hinterlassene Spuren. In vielen anderen der 16 Kapitel darf er schlafen - einer Hundepsyche fühlt sich nicht jeder so artverwandt wie Wolfgang Polifka (Nähe Marburg). Umso besser kennen die Ortsansässigen Wiesbaden und sein Casino. Wer sich schon nach Dostojewski nennt, spielt eben auch gern mit dessen Erbe. Und so findet die Mordtat denn hautnah überm Roulettetisch statt.
Doch es gäbe nicht die Vielzahl der Texter, wenn sich nicht im Handlungsverlauf herausstellte, dass weder der Tote der Tote, noch sein Mörder ein Mörder war. Da hat sich die Kette der Fantasie ganz schön herausfordern lassen, hinzu zu erfinden, bisher Erzähltes umzukehren, Volten und Verwicklungen einzubauen.
Verlässliche Basis bilden Lars Rieken von der Wiesbadener Kripo und Kevser Ulucay, Sicherheitsbeauftragte mit Migrationshintergrund. Dass eine Verdächtige nicht nur aus dem Osten, sondern auch aus einer früheren Beziehung zum Polizisten kommt, verdankt der Krimi Susanne Kronenberg. Jetzt müssen alle Nachschreibenden sehen, was sie draus machen. Richard Lifka eine veritable Liebesgeschichte und Bernd Köstering (Offenbach) den Weg wieder frei für eine naheliegend neue Paarbildung. Mit Hund wohlgemerkt.
Und zum Plot noch so viel: Die dunklen Kräfte drohen (woher sonst?) aus dem Osten, die groben Gestalten heißen "Silberner Toni" oder "Fettes Schwein", das Motiv ist Raffgier, zu den Verbrechen zählen Unterschlagung, Mord und Entführung, das BKA spielt keine rühmliche Rolle, und es ist die Kette der Gesamtstruktur auch als Einzelobjekt verfügbar.
Zum Abschluss des Wiesbadener Krimiherbstes, 8. Dezember, wird sie im Literaturhaus ausgelegt werden.

 

Wiesbadener Kurier Stadtausgabe vom 28.11.2012

Von Viola Bolduan

Dienstag, 27. November 2012

“Beatlemania” mit dramatischem Finale

 

Das Gemäuer der Zitadelle, an einem finsteren Novemberabend, im Nebel, - wem würde es da nicht gruselig zumute? Das richtige Ambiente also für eine Krimilesung. Freilich - wenn ein Musikredakteur wie Christian Pfarr die Stories schreibt, da geht es nicht in erster Linie um Mord und Totschlag, da werden feinere Töne angeschlagen.

„Hilfe!“ heißt das neue Buch, und wenn man auf dem Einband die „Fab Four“ über den berühmten Zebrastreifen marschieren sieht, dann weiß man auch sofort, was gemeint ist: „Help!“ Zehn Beatles-Krimis verspricht das kleine Buch. Fünf der Geschichten stammen von Richard Lifka, Schriftsteller und bekennender Beatles-Fan aus Wiesbaden, die anderen fünf von Christian Pfarr, der jetzt bei der Krimilesung auf der Zitadelle eine kleine Kostprobe gab. Dabei lässt er Paul und John, Ringo und George nicht als handelnde Personen auftreten - es geht eher um ihre Wirkung, ihr musikalisches Nachleben, - eben um das Magical Mystery. Ein Mann erinnert sich an seine Freunde, an die bewegte Hippie-Zeit und die gemeinsame „Beatlemania“ inmitten der „piefigen“ Umgebung der 60er Jahre - und was ist daraus geworden? Irgendwie und irgendwann haben sie sich doch alle angepasst. Und es wäre kein Krimi, wenn diese kleine Geschichte nicht mit einem dramatischen Finale enden würde.

Eine andere trägt den Titel „Vorgestern“, und das erinnert nicht umsonst an „Yesterday“: da hat nun der Musikredakteur seine detaillierten Kenntnisse eingebracht. Angeblich soll Paul McCartney nämlich immer behauptet haben, die Melodie sei ihm im Traum eingefallen. Und Pfarr fabuliert sich eine abenteuerliche Story zusammen, was es damit auf sich haben könnte, und dabei geht es very british zu - und zum Schluss natürlich wieder mörderisch.

Wenn der Autor zuletzt behauptet, er könne alle Texte der Beatles rückwärts aufsagen, kann man ihm das unbesehen glauben. Ganz so versiert müssen die Leser der Geschichten zum Glück nicht sein - dass „eventuelle Ähnlichkeiten“ mit bekannten Personen und Ereignissen nicht rein zufällig sind, merkt man auch so. Nur eines sollte man haben: ein Herz für die Beatles und ihre Musik. Und das ist unabhängig vom Lebensalter - auch wenn in diesen kleinen Beatles-Krimis natürlich viel „Yesterday“ steckt.

Von Rotraut Hock

http://www.allgemeine-zeitung.de/region/kultur/literatur/12628004.htm

Montag, 19. November 2012

Zeitreise ins 16. Jahrhundert

 

Durch die Fenster des Bürgersaals im Eppsteiner Rathaus schweifte der Blick über den in diffuses Licht der nebelverhangenen Straßenlaternen getauchten Ort. Als dann der gregorianische Gesang des Männerchors aus Niederjosbach begann, trat im vollbesetzten Raum erwartungsvolle Stille ein. In den letzten Ton hinein erklangen die Worte: "Es geht auch hier nicht ohne Vorrede ab... hol´s der Teufel". Da brach die Stimme ab und der Schauspieler Michael Mendl klopfte irritiert auf sein Mikrofon. Nichts, der Teufel hatte es geholt. Vom herbeigeeilten Techniker ließ er sich befummeln, zog sein Jackett aus und ergab sich in das Unvermeidliche.
Psychopath oder Ganove
Ganz der Grandseigneur, den er so oft in Filmrollen spielte, ließ er es geschehen, war die Autorität ausstrahlende Figur, der ehrenhafte Charakter. Meist verkörpert er hohe Funktionäre, Ärzte oder Offiziere und ist damit beim deutschen Film- und Fernsehpublikum bekannt und beliebt geworden. Für die Interpretation des ehemaligen Kanzlers Willy Brandt in "Im Schatten der Macht" erhielt er 2004 die "Goldene Kamera". Dass er auch anderes kann, stellt er in Dramen unter Beweis, sei es als Psychopath, Ganove oder als charmanter älterer Ehemann. Natürlich ist er mit Gastrollen an deutschen Theatern präsent, genauso wie bei Hörspielproduktionen oder in Synchronisationsstudios, wenn er amerikanischen Schauspielern seine Stimme leiht.
Nachdem die technischen Probleme behoben schienen, setzte sich Michael Mendl wieder und fing noch mal von vorne an. Er las professionell und eindringlich aus dem fünften Buch "Die Brüder Karamasow". Schon nach wenigen Minuten war das Publikum ins Sevilla des 16. Jahrhunderts versetzt, erlebte hautnah mit, wie der Großinquisitor in dem gleichnamigen Kapitel aus Dostojewskis Roman, den auf die Erde zurückgekehrten Jesus verhörte. Der schweigende Christus steht am Ende der Parabel auf und küsst den Inquisitor auf die Lippen. Daraufhin lässt dieser ihn frei, obwohl er vorhatte, Jesus auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Das regelmäßig aussetzende Mikrofon störte den Schauspieler nun nicht mehr, er war in seiner Rolle, war ganz der spanische Tyrann. Da waren solche Äußerlichkeiten ausgeblendet.
Natürlich hatte Mendl diese Geschichte nicht ohne Grund gewählt. Strahlt sie doch bis heute eine enorme Wirkung aus und sorgt noch immer, besonders in der Theologie, für Diskussionen über Rolle der Kirche. Allerdings kommen darin auch Sätze vor wie "Knechtet uns lieber, aber macht uns satt!" und zielen damit direkt auf Mendls soziales Engagement. Seit 2008 ist er der Schirmherr des "Vereins Gegen Noma" (noma = zerfressen). Eine entsetzliche Krankheit, an der jährlich über 100 000 Kinder sterben und die bei Unterernährung entsteht.

Wiesbadener Kurier Stadtausgabe vom 19.11.2012, Seite 7

Freitag, 16. November 2012

Verschwinden aus dem „Lebenszimmer“

 

KRIMIHERBST Lesung mit Friedrich Ani

Tabor Süden dränge sich ihm auf, komme stets zurück. Ohne ihn könne er seine Geschichten nicht erzählen. So der Münchner Autor Friedrich Ani, zu der Frage der Moderatorin Ruth Fühner, warum er, trotz anderslautender Beteuerung, erneut einen Kriminalroman mit dieser Hauptfigur geschrieben habe. Verschmitzt und augenzwinkernd geäußert, wie das Meiste, was Ani sagte.

Kellnerin verschwunden

Die vielen Zuhörer in der Villa Clementine ließ er spüren: Da steckt noch mehr dahinter. Ungeduldig, manchmal genervt, mit den Fingern auf der Tischplatte trommelnd, ließ er die Fragen über sich ergehen, antwortete eingeübt und wollte eigentlich nur eins, seine Texte vorlesen. Das tat er dann natürlich auch, professionell und sehr eindringlich. Sofort wurde klar, wie intensiv das Verhältnis des Autors zu seiner Hauptfigur, dem ehemaligen Polizisten Tabor Süden ist. Schnell war das Publikum in den neuen Fall „Süden und das herrliche Leben“ eingetaucht und verfolgte gespannt die ersten Ermittlungsansätze um die verschwundene Kellnerin Ilka Senner.

Das Verschwinden einer Person aus ihrem „Lebenszimmer“ und die Suche nach ihr, das ist sein Thema, das des Autors und das seines Ermittlers, der mittlerweile als Privatdetektiv arbeitet, zuständig ausschließlich für „Vermissungen“. Das Lebenszimmer sei der Raum, in den wir hineingeboren werden, in dem wir auch sterben. Nur manchmal gäbe es darin eine geheime Tür, durch die jemand unerwartet verschwindet.

Als einen völlig anderen Autor präsentierte er sich im zweiten Teil des Abends. Der mit vielen Preisen ausgezeichnete Schriftsteller ist nicht nur im Krimi-Genre zu Hause. Bühnenstücke, Erzählungen, Jugendromane, Hörspiele und Drehbücher stammen ebenso aus seiner Feder, wie Gedichte. Als er davon einige vorlas, meist aus dem Lyrikband „Mittschnitt“ veränderte sich nicht nur seine Gestik und Haltung, auch seine Stimme bekam eine andere Farbe.

Allein daran war zu erkennen, wie wichtig diese Arbeiten für ihn sind, genauso wie an der Bemerkung: „Es passiert nicht oft, dass ich zu einer Veranstaltung eingeladen werde, bei der ich gleichzeitig aus Kriminalromanen und Lyrikbüchern lesen soll.“ Aber die Lyrik gehöre ebenso zu ihm, wie seine belletristischen Texte. Der Unterschied sei lediglich, dass er sich zum Gedichteschreiben nicht zwingen könne - sie kämen zu ihm, oder auch nicht.

Charismatische Autoren wie Friedrich Ani sind es, die die literarische Szene beleben, das Publikum unterhalten, zum Nachdenken bringen und zum Widerspruch auffordern. Sicherlich bleiben viele von Anis Sätzen, ob erzählt oder gelesen, im Kopf und melden sich spätestens bei der Lektüre seiner Bücher wieder.

Wiesbadener Kurier, 16.11.12

Dienstag, 13. November 2012

Nicht immer muss der Gärtner der Mörder sein

 

12.11.2012 - WIESBADEN

KRIMINACHT Interaktives Drama mit dem Improvisationstheater „Für Garderobe keine Haftung“ / Das Publikum bereitet für das Stück „MordArt“ die Zutaten vor

Das Rezept ist stets das Gleiche. Man nehme eine Leiche, drei Verdächtige, etwas Polizei, ein bestimmtes Milieu und natürlich einen Mörder oder eine Mörderin. Noch bevor es losging, durften die, die zur Kriminacht die Buchhandlung Hugendubel bis auf den letzten Platz besetzt hatten, auf Zetteln ihre Lieblings-Mordmethoden notieren und in den „Todesarten-Eimer“ werfen.

Das Ensemble des Improvisationstheaters „Für Garderobe keine Haftung“ bereitete in Zusammenarbeit mit dem Publikum die Zutaten für das Kriminalstück „MordArt“ vor. Dass sich das Ganze in einer „Reichen-Villa“ im Nerotal abspielen sollte, war sicher den Fernsehkrimi-Erfahrungen geschuldet. Genauso wie die sozialkritische Beimischung, in Gestalt der verarmten und im Ghetto (Schelmengraben) lebenden Hip-Hop begeisterten Schwester (Claudia Stump) der vornehmen Hausherrin (Silke Siegel). Eine Abstimmung ergab, dass das Kindermädchen zu Tode kommen sollte, geköpft mit einem Samurai-Schwert, wie es das Los aus dem Eimer orakelte. Um einen weiteren Verdächtigen zu haben, musste der Getränkelieferant (Frederik Malsy) sich zur festgelegten Tatzeit am Tatort aufhalten. Er versorgte die Villa der von Mondscheins nicht nur mit Getränken, er war - wie die lesbische Hausherrin - in das Kindermädchen verliebt.

Der Täter wird ausgelost

Wer der Mörder sein sollte, wurde heimlich ausgelost - es war das große Rätsel, das es zu lösen galt. Nachdem Zuschauer noch „Indizien“ beigesteuert hatten, Regenschirm, Haarspray und ein psychologisches Handbuch, war die Mixtur zubereitet und das Drama konnte seinen Lauf nehmen.

Es lag nun an den Akteuren, eine spannende Krimistory daraus zu machen. Spannend geriet sie nicht, aber humorvoll, witzig und meist unterhaltsam. Besonders Frederik Malsy brillierte mit schlagfertigen Einfällen, spontanen Aktionen und spaßigen Wortspielen. Die Auflösung erfolgte im klassischen Stile einer Agatha Christie. Dreimal musste das Kindermädchen sterben, köstlich gespielt von Stefanie Petereit, immer von einem anderen Verdächtigen geköpft. Der Getränkehändler war es, stellte sich wenig überraschend heraus. Eine Besucherin, die wie viele richtig getippt hatte, wurde mit einem Preis belohnt. Ein runder Abend, mit wenig Krimi zwar, dafür mit umso mehr Klamauk, bei dem das Publikum sich hervorragend amüsierte.

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