Montag, 26. September 2011

Erinnerungen an das Verschweigen

 

26.09.2011 - OESTRICH-WINKEL

Von Richard Lifka

RHEINGAU LITERATUR PREIS Verleihung an Josef Haslinger

Am Schluss eines erfolgreichen Rheingau Literaturfestivals steht die Ehrung, die Ernte quasi, genauso, wie am Ende der Reifezeit, die Trauben gelesen werden: „WeinLese“ im doppelten Sinne. Während draußen auf den Hängen die Pergel in die Butt geschüttet und in den Keller transportiert wurden, lasen eben in diesen Gewölben zeitgleich Autorinnen und Autoren aus ihren Werken.

Eine glückliche Verbindung, wie der diesjährige Preisträger, der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger, hervorhob. Eine Beziehung zwischen Wein und Literatur, die besser nicht funktionieren könne. Was bei Biertrinkern unmöglich sei, rücke hier in den Vordergrund: der Genuss. Der Wein muss schmecken, das Buch gefallen, sonst wird beides weggeschoben, durch andere ersetzt. Demzufolge habe er, als passionierte Weintrinker, auf die Frage einer Journalistin, welcher Teil des Preises, die 111 Flaschen Rheingauer Riesling der besten Qualität oder die 10 000 Euro wichtiger wären, spontan den Rebensaft genannt. Erst beim Nachrechen, wie viele weitere Liter er mit dem Preisgeld kaufen könne, erschien ihm das Geld genauso sympathisch, erzählte Haslinger bei seiner Dankesrede. Als Stadtschreiber von Mainz 2010 habe er den Roman „Jáchymov“ geschrieben und 2011, auf der anderen Rheinseite, dafür den Preis erhalten.

In gediegener Atmosphäre

Die Vergabe des Rheingau Literatur Preises 2011, nun schon zum 18. Mal, fand traditionsgemäß in gediegener Atmosphäre des Schlosses Vollrads statt. Nach der Begrüßung durch den Intendanten des Rheingau Musik Festivals Michael Herrmann, den Grußworten von Staatssekretär Ingmar Jung hielt der künstlerische Leiter Heiner Boehncke eine bemerkenswerte Laudatio. Er betonte die vielfältigen Verbindungen und mannigfachen Nebentöne, die den preisgekrönten Roman „Jáchymov“ durchzögen. Besonders deutlich würde dies anhand der Verstrickung von Sport und Politik dargestellt, die in der Gegenwart gleichermaßen gegeben seien. Denke man nur an das Eishockey-Profiteam, das bei einem Flugzeugabsturz im September dieses Jahres ums Leben kam. Dass Putin und Medwedew bei der Mannschaft der Lokomotive Jaroslawl ihre Hände mit im Spiel gehabt hätten, wäre ja kein Geheimnis.

Dem Autor sei mit „Jáchymov“ ein Roman gelungen, in dem sich Sport und Politik, Österreich und Tschechien, Wien und Leipzig, Stalinismus und Nationalsozialismus kreuzten. Josef Haslinger habe sämtliche Fäden mit all seiner politischen Versiertheit, seinen ästhetischen Reflexionen zu einem Werk verknüpft, das die Sprache der Erinnerung findet, wo das Verschweigen in vielen Varianten herrschte.

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Josef Haslinger Foto: Klostermann

Freitag, 23. September 2011

Geschichten über das, was nicht da ist

 

23.09.2011 - RÜDESHEIM

Von Richard Lifka

LESUNG Ingo Schulze beim Rheingau Literatur Festival

Eigentlich stimmte alles. Tolles Ambiente, guter Wein und vollbesetzte Stuhlreihen. Dennoch wollte der Funke nicht überspringen, kam der Applaus zögerlich und spärlich. Woran es lag?

Sicherlich auch an einer konfus wirkenden Moderatorin Ruth Fühner, deren Fragen keine Fragen, eher Feststellungen waren, mit der ihr Gast, der Schritsteller Ingo Schulze, wenig anzufangen wusste und seine liebe Mühe hatte sie zu beantworten. Vielleicht an den zu langen Textpassagen, die vorgetragen wurden, wobei es auch hier Unstimmigkeiten gab, welche es denn nun sein sollten. Vor allem aber an den Texten selbst, die vorgelesen, ziemlich belanglos wirkten.

Was sie nicht sind. Denkt man in Ruhe, später oder beim Selbstlesen darüber nach, klingt das nicht Benannte im Text eindrucksvoll nach. Das ist es dann, was Ruth Fühner meinte mit der Anwesenheit dessen, was nicht da ist.

Aufmerksam, hin und wieder von leisem Lachen unterbrochen, hörte das Publikum im Weingewölbe von Breuers Kellerwelt in Rüdesheim zu. Aus „33 Augenblicke des Glücks“ las der in Dresden geborene und in Berlin lebende Autor das Fragment „Füße“, dann aus dem Buch „Orangen und Engeln“ die italienische Skizze „Randazzo“. Hier wird dem Ich-Erzähler beim Anblick der Esterhazy-Schnitte in einer berühmten sizilianischen Patisserie, die Vergänglichkeit des Lebens und seiner selbst bewusst.

Ratloses Publikum

Die lange Erzählung „Kalkutta“ aus „Handy - Dreizehn Geschichten in alter Manier“ entließ das Publikum etwas ratlos in die Pause. Zwar strotze der Text von skurrilen Begebenheiten, wie beispielsweise dem Versuch, eine imaginäre Maus zu fangen, mit einer Mausefalle der Nachbarsfamilie, deren Sohn gerade unfallbedingt ins Koma fiel. Eher klischeehaft wirkt hier allerdings „das, was nicht da ist“. Ein Mann der Hausarbeit verrichtet ist folglich arbeitslos, Frauen können ungehemmt miteinander reden, Männer nicht und Kalkutta ist das Symbol für unbeachtetes Kindersterben.

Nach der Pause las Schulze eine titellose Geschichte aus „33 Augenblicke des Glücks“. Ein Beispiel über das Leben der Russen in den 90er Jahren und die nicht gestellte Frage: Trägt der heutige Effektivitätswahnsinn in unserer Wirtschaftsphilosophie wirklich zur Steigerung der Effektivität bei? Eine abgedrehte, humorvolle, mit vielen Augenzwingern erzählte Parodie.

Dienstag, 20. September 2011

Melancholie auch an hellen Tagen

 

20.09.2011 - HATTENHEIM

Von Richard Lifka

LESUNG Rheingau Literatur Festival mit Zsuzsa Bánk

In der imaginären süddeutschen Kleinstadt Kirschblüt wohnen in den 60er Jahren drei Familien, deren Schicksale sich miteinander verweben. Drei alleinerziehende Mütter. Zwei Mädchen und ein Junge wachsen auf in einer scheinbar hellen, heilen Umgebung, in der die Natur den Jahreszeitenwechsel vorgibt.

Konflikte mehren sich

Mit jedem Sommer verändern sie sich, reifen, werden älter. Im Zuge dessen mehren sich die Konflikte, werden aus unbekümmerten Kindern Erwachsene, fallen Schatten auf die unbeschwerte Zeit. Zsuzsa Bánk lässt die Geschichte von einem der beiden Mädchen in der ersten Person erzählen. Sie schildert die Verhältnisse im Ort, aber besonders das Leben ihrer Freundin Aja und des Jungen Karl. Es war nicht geplant, dass die Kindheitsschilderungen einen so großen Teil des Romans einnehmen, sagte die Autorin im Rahmen des Rheingau Literatur Festivals Ihr war es wichtig, herauszubekommen, wann und vor allem wie der Umbruch stattfindet. Wann dieser verdrehte Blick auf die Welt sich ändert. Klar und verständlich, mit unaufgeregter, sympathischer Professionalität antwortete die Frankfurter Schriftstellerin auf die Fragen der Moderatorin Ruth Fühner. Nachdem die Autorin dem Publikum im vollbesetzten Saal des Hattenheimer Weinguts Balthasar Ress eine kurze Einführung in die Geschichte gegeben hatte, las sie aus zwei Kapiteln vor.

Auffallend, auch beim Hören, die poetische Kraft der Sprache, die Melodie des Textes, die sich der Handlung anpasst und eine ganz eigene Stimmung heraufbeschwört. Gespannte Stille vom ersten bis zum letzten Wort, die nur durch ständiges Klacken des Mikrofons gestört wurde. Nach ihrem Debüt „Der Schwimmer“ (2002) und dem Erzählband „Heißester Sommer“ (2005) legt Zsuzsa Bánk mit „Die hellen Tage“ ein melancholisches Werk vor, das das Leben dreier Menschen von ihrer Kindheit bis zum Alter von etwa 35 Jahren beschreibt und das von wahrer Freundschaft und tief empfundener Liebe, aber genauso von Enttäuschung und Verrat erzählt.

Nach den beiden Kostproben muss man dieses Buch weiterlesen, muss erfahren, wie sich diese Beziehungen weiterentwickeln.

Montag, 19. September 2011

Tod im Taunus

Taunus –„Tod im Taunus“ heißt die Sammlung von kriminellen Kurzgeschichten, die jetzt im KBV-Verlag erschienen ist. Geschrieben wurden die Krimis jedoch oft von Menschen, die nicht im Taunus leben. Warum sie trotzdem authentisch sind, erklären Herausgeber Richard Lifka und Autorin Regula Venske. Von Julia Renner

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© Michael Zapf (nh)Regula Venske

„Vergraben in Oberursel“ heißt die Kurzgeschichte, die Regula Venske für die Anthologie geschrieben hat. Venske wohnt allerdings etwa 500 Kilometer entfernt von der Hessentagsstadt und zwar in Hamburg. Kein Problem, findet die Schriftstellerin: „Karl May war ja auch nie im Wilden Westen“, sagt sie. Die Schriftstellerei lebe von der Fantasie.

Herausgeber Richard Lifka hatte die Hamburgerin gefragt, ob sie nicht einen Beitrag zu dem Buch „Tod im Taunus“ leisten wolle. Lifka hatte zunächst Autoren aus der Rhein-Main-Region angeschrieben. „Dabei hatte sich aber zu wenig herauskristallisiert“, sagt er. Für ein Buch hätte es nicht gereicht. Deshalb hat er noch einige Autoren, die den Taunus kennen, gebeten, einen Kurz-Krimi beizusteuern.

Boomende Regionalkrimis

Unter ihnen auch Regula Venske. Sie hat einige Zeit in Wiesbaden verbracht und schon ihr Vater habe früher von einem Ruhesitz im Taunus geträumt, sagt sie. Ihr Krimi spielt in Oberursel. „Dort bin ich selbst nie gewesen“, sagt Venske. Für die Stadt hat sie sich entschieden, weil sie dann auch gleich den Namen ihrer weiblichen Hauptdarstellerin hatte: Ursula. Ihre Kurzgeschichte spielt in einem Altenheim und erzählt von einer Ehefrau, die ihren dementen Mann in einem schlichten Heim unterbringt, während sie selbst in einer Luxusanlage wohnt. Mehr wird allerdings nicht verraten. Um diesen Regional-Krimi zu schreiben, ohne jemals vor Ort gewesen zu sein, hat Venske viel im Internet recherchiert. „Und jetzt hätte ich selbst Lust, mal nach Oberursel zu fahren“, sagt die 56-Jährige.

© nhRichard Lifka

Herausgeber und Autor Richard Lifka, der selbst in Wiesbaden lebt, hat Freunde und Verwandte im Taunus, ist oft dort. „Der Taunus gehört zu meinem Lebensraum“, sagt er. Deswegen hat er auch wert darauf gelegt, dass auch die anderen Krimiautoren einen Bezug zur Region haben. Dass Regionalkrimis noch immer boomen, dürfte dem Buch zugute kommen. Und gerade Taunus-Krimis sind derzeit mega-erfolgreich: Durch die Bestseller-Autorin Nele Neuhaus aus Kelkheim.

Das Buch „Tod im Taunus“ aus dem KBV-Verlag ksotet 9,90 Euro und hat 260 Seiten.