Montag, 11. November 2013

Rheinhessen-Krimis: Sammlung weihnachtlicher Kurzgeschichten

 

Lesung Tödlicher Glühwein

Acht Autorinnen und Autoren lasen im Drusussaal der Mainzer Zitadelle aus ihren weihnachtlichen Rheinhessenkrimis, die in einer Kurzgeschichten-Sammlung unter dem Titel „Tödlicher Glühwein“ erschienen sind.

„Einen passenderen Standort hätte es nicht haben können: hoch über der Stadt, den Martinsdom zu Füßen, flankiert von St. Stephan“, so beschreibt Autorin und Mitherausgeberin Claudia Platz die Mainzer Zitadelle in ihrem Kurzkrimi „Racheengel“.

Bei ihr verwandelt sich das Festungswerk kurzerhand in einen Mordschauplatz. Eine junge Sterneköchin wehrt sich gegen die miesen Absichten eines skrupellosen Restaurantkritikers und macht schließlich kurzen Prozess: mithilfe einer gusseisernen Bratpfanne. Und es wird an diesem Abend noch öfter gemordet. Die aus Landau stammende Autorin Heidi Moor-Blank lässt den Mainzer Oberbürgermeister bei der Eröffnung des Weihnachtsmarktes auf offener Bühne erschießen. In Gina Greifensteins Kurzkrimi „Spezialrezept“ will Frührentner Manfred seine verhasste Schwiegermutter mit vergifteten Lebkuchen zur Strecke bringen. Und auch Rosemarie, die Heldin aus Jürgen Heimbachs Kurzkrimi, der am Ende des Zweiten Weltkriegs spielt, geht für ihre „Freiheit“ über Leichen.

Witzig und akribisch

Mal mit Witz, mal mit akribisch-psychologischer Beobachtungsgabe oder genau getaktetem Spannungsaufbau: So unterschiedlich wie die Krimis selbst gestalteten auch die acht Autorinnen und Autoren ihre Lesung. Jeweils drei Minuten gewährten sie Einblicke in ihre Werke – und ließen den Ausgang ihrer Krimis zumeist offen, um die Gäste des voll besetzten Drusussaals auf die Folter zu spannen.

Vor einem guten Jahr wurde die Gau-Bischofsheimer Autorin Claudia Platz auf einen Berliner Krimiband mit weihnachtlichen Kurzgeschichten aufmerksam. „Für Rheinhessen gab es das noch nicht“, erzählt Platz, also habe sie ihre Verlegerin Angelika Schulz-Parthu vom Ingelheimer Leinpfad Verlag angerufen, die von der Idee begeistert gewesen sei. Die beiden Frauen schrieben im Dezember 2012 über verschiedene Autoren-Netzwerke einen bundesweiten Wettbewerb aus, bei dem Schriftsteller ihre Geschichten für „Tödlicher Glühwein“ einreichen konnten.

„Grundvoraussetzung war, dass die Krimis in einem Zeitraum zwischen erstem Advent und Dreikönigstag spielen und in Rheinhessen angesiedelt sein sollten“, berichtet Angelika Schulz-Parthu, die den Leinpfad Verlag 1997 gegründet hat. „Ausgesucht haben wir dann nach Spannung, nach Originalität und auch ganz stark nach Vielfalt“, so die Verlegerin, „wir wollten ja nicht nur Kurzkrimis haben, in denen alle an vergifteten Plätzchen sterben“. Die Fertigstellung der Anthologie habe sich dann als wahrer Marathon herausgestellt, resümiert Schulz-Parthu. „Wir haben gelesen, gelesen, gelesen. Das reicht ja nicht, die Geschichten nur einmal zu lesen, die Krimis müssen in sich stimmig und plausibel sein“.

Zynisch und überraschend

Aus 30 Einsendungen wählten die Herausgeberinnen 19 Geschichten aus, die mal mit Zynismus, mal mit trockenem Humor oder ungeahnten Wendungen mit dem Fest der Liebe abrechnen. Weihnachten als Thema für einen Krimi? „Wer hatte an Weihnachten nicht schon mal Mordgedanken“, schmunzelt Schulz-Parthu.

Eine lyrische und musikalische Zugabe von Claudia Platz rundete den Abend thematisch ab: „Den Glühwein koch ich dir, damit er richtig brennt // Kommt noch Strychnin hinein – Frohen Advent!“

09.11.2013 – RHEINHESSEN Von Lisa Simonis

Mittwoch, 23. Oktober 2013

23. Oktober 2013

Viertelkrimi 14 Schierstein

"Deine Grundschule brennt!"

2013 10 Viertelkrimi 14 Schierstein

WIESBADEN . Rauchschwaden zogen über den Schiersteiner Hafen. In Frederic Feuerbachs Kopf erklang sofort der Riff von "Smoke on the water" und kurz darauf blitzte eine weitere Erinnerung aus seiner Kindheit auf. Wie oft hatte er sich auf seinem morgendlichen Weg gewünscht, die Schule würde brennen und der Unterricht ausfallen. Wenig später stand er vor dem Hauptgebäude der Erich-Kästner-Schule, aus deren Fenstern hohe Flammen schlugen. Aus allen Richtungen schossen Wasserfontänen aus den Schläuchen der angerückten Feuerwehren.
Die Nachricht lautet "KHB"
mehr …

Samstag, 5. Oktober 2013

Auf der Suche nach dem Selbst

 

RLF II Mainzer Stadtschreiber Peter Stamm liest aus „Nacht ist der Tag“ im Weingut Baron Knyphausen

Michael Herrmann, Intendant des Rheingau-Literatur-Festivals begrüßte im Erbacher Weingut Baron Knyphausen Autor Peter Stamm als Stammgast. Ein Kalauer, den der Schweizer wohl nicht zum ersten Mal vernahm. Gemeint war, dass der Schriftsteller nicht nur im Jahr 2000 den Rheingau-Literaturpreis erhalten habe, sondern zum vierten Mal am Programm teilnahm – in diesem Jahr als aktueller Mainzer Stadtschreiber über den Rhein gekommen sei. Auch die Bemerkung, im Rheingau scheine stets die Sonne, wenn Peter Stamm anreist, mag als Überleitung zu dessen meist im Nebel ihrer Existenz herumirrenden Romanfiguren durchgehen. Allerdings war es auch Hinweis auf das anschließende Gespräch zwischen Schriftsteller und Moderator Martin Maria Schwarz. Es blieb oberflächlich.

Und der Zweck der Kunst?

Das Thema der „Suche nach dem Selbst“, das Stamm in seinem neuen Roman „Nacht ist der Tag“ aufgegriffen hat, sei „schwierig“, betonte der Autor mehrmals. Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wer definiert mich? Das waren die Fragen. Aber auch die nach dem Nutzen der Kunst wurde gestellt. Warum schreiben wir Bücher oder malen Bilder? Das alles habe keinen praktischen Wert im Vergleich etwa zum Backen von Brot. Ob nun provokant oder ironisch gemeint, wurde nicht klar, denn kurze Zeit später stellte Stamm fest, natürlich habe Kunst einen Zweck. Nur welchen, blieb unerörtert.

Anregender wurde es, nachdem Stamm den Anfang des Buches vorgelesen hatte. Auch in „Nacht ist der Tag“ beginnt die Handlung im Krankenzimmer, genauso wie in Martin Walsers neuem Roman „Die Inszenierung“, der gleichfalls auf dem Festival vorgestellt wurde (wie berichtet). Bei Stamm ist es Gillian, die das klischeehaft stilvolle Leben einer Fernsehmoderatorin führte, bevor sie bei einem Autounfall nicht nur ihren Mann, sondern auch ihr Gesicht verlor. Real und metaphorisch. Während die Ärzte versuchen, „das Loch im Gesicht“ plastisch zu schließen, ist Gillian auf der Suche nach sich selbst. Wieder ist es Stamms vielgerühmter Stil der knappen und schnörkellosen Sätze, der im Kopf des Lesers starke Bilder entstehen lässt. Die scheinbar gefühllose Distanz des Erzählers zu einer dermaßen emotionsbeladenen Handlung schafft viel Platz für Fantasien.

In der Szene, die vor dem Unfall spielt, wird der zweite Protagonist vorgestellt. Es ist der dünnhäutige Aktmaler Hubert, dem Gillian Modell steht. Durch den Wechsel der Erzählperspektive rückt die Betrachtung der Frau von außen in den Fokus. Sie wird zum Objekt des Künstlers, ist nicht mehr sie selbst. Der Spiegel, mit dem Gillian im Krankenhaus sich selbst zu erkennen sucht, verwandelt sich in die Augen des Malers, der einen ganz anderen Mensch findet.

30.09.2013 - ERBACH

Frisch ausgepackt

 

Tödlicher Glühwein. 19 Weihnachtskrimis aus Rheinhessen
Claudia Platz und Angelika Schulz-Parthu (Hg.)
Stille Nacht, heilige Nacht? Von wegen!
Harmonie und Frieden unterm Weihnachtsbaum? Wers glaubt, wird selig!
Man verzeiht sich beim Glühwein das eine oder andere? Schön wärs!
In ihren Weihnachtskrimis aus Rheinhessen zeigen 19 Autorinnen und Autoren, dass auch zwischen dem ersten Advent und Silvester alte Rechnungen beglichen und neue aufgemacht werden. Psychologisch fein austarierte Tatabläufe treffen auf spontane Befreiungsschläge und manchmal auf den Falschen …
Mit Krimis von Vera Bleibtreu, Ella Daelken, Franziska Franke, Britt Glaser, Gina Greifenstein, Jürgen Heimbach, Heidrun Immendorf, Simone Jöst, Wolfgang Kemmer, Richard Lifka, Heidi Moor-Blank, Sarah Geraldine Nisi, Claudia Platz, Petra Scheuermann, Regina Schleheck, Gabriele Scholtz, Angelika Schröder, Frauke Schuster und Brigitte Vollenberg.
ISBN 978-3-942291-67-5, 216 Seiten, Broschur (2013)
€ 9.90Preis:

Samstag, 21. September 2013

Neue Bücher

20130921_Wiesbadener_Kurier_Stadtausgabe_Seite_1_001

Wiesbadener Kurier vom 21.09.13

Donnerstag, 12. September 2013

12. September 2013

Frisch ausgepackt

Neuerscheinung

Luxemburger Leichen

Killer, Kohle, Kasematten
Luxemburg, das Musterland der EU, ist international - bis zum Anschlag. Gleichzeitig gilt es als beschaulich und lebensfroh. Und reich. Das lockt nicht nur ehrenwerte Menschen an, sondern auch jede Menge Gesindel: Bombendrohung im Bankenviertel, Terror im Kernkraftwerk, Showdown auf dem Stadtfriedhof, Agentenjagd im Palast, Politmassaker, Brisantes, Böses und Mörderisches – das brave Großherzogtum verliert seine Unschuld, wenn unter der Regie von Eva Lirot und Hughes Schlueter über 20 namhafte Autoren die Feder ins Blut tauchen: Arno Strobel, Monique Feltgen, Guido M. Breuer, Nina George, Marco Schank, Ralf Kramp, Josiane Kartheiser, Tatjana Kruse, Alexander Pfeiffer, Raoul Biltgen, Georges Hausemer, Richard Lifka, Silvija Hinzmann, Jeff Schmitz, Edwin Haberfellner, Susanne Kronenberg, Luc Marteling, Karsten Eichner, Bernd Köstering, Anita Kayser, Franziska Steinhauer und Marc Graas.


ISBN: 978-3-942446-96-9 | 270 Seiten

9,90 Euro (inkl. MwSt.)
Taschenbuch

Ab 01.10.2013 lieferbar

Dienstag, 11. Juni 2013

Gehoppel durchs Langgedicht

 


Wiesbaden . Der Lyrik ein Fest, so das Thema, das Eva Demski, die diesjährige Gastgeberin der Wiesbadener Literaturtage, gewählt hat. Das Gedicht vom Sockel der Weimarer Klassik heben und deutlich machen, dass Gedichte Genussmittel, Kampfzone und auch ein schöpferischer Ort der Sprache und Freude sind.
Nach der Eröffnungsfeier am Sonntag, sollten nun die beiden ersten Gäste, die ehemalige Wiesbadener Poetikdozentin Silke Scheuermann aus Offenbach und Paulus Böhmer aus Frankfurt am Main, im Literaturhaus Villa Clementine mit Leben, Traum und Tod die moderne Lyrik feiern. Soweit das Vorhaben.
Manch Ungemach
Um es gleich vorweg zu sagen: Das war kein Fest, das war eine mühsame, unter keinem guten Stern stehende Veranstaltung. Für manches Ungemach waren die Akteure nicht verantwortlich, wie eine nervige Mikrofonanlage, einen grippalen Infekt Silke Scheuermanns, die nach einer hochwasserbedingten Odyssee aufgelöst zur Lesung angereist war oder die wenigen Zuhörer.
Was aber anzulasten ist, ist das unvorbereitete Auftreten Böhmers als auch Eva Demskis als Moderatorin des Abends. Der Frankfurter Lyriker hoppelte sich betonungs- und gestenlos 15 Seite lang durch ein Langdicht, verlas sich fortwährend oder brummelte oft Unverständliches. Auch bei dem zweiten, später vorgelesenen Text war dies nicht anders.
Langatmige Fragensuche
Dies ahnend, hatte die Gastgeberin zuvor das Publikum darauf hingewiesen: "Ich bitte Sie, genau zuzuhören. Aber das machen Sie ja, dafür sind Sie ja hergekommen." Danach suchte sie langatmig nach zu formulierenden Fragen, die dann wenig Erkenntnisreiches hervorbrachten, wie zum Beispiel: "In welchem Stadium der Liebe schreibt sich ein Liebesgedicht am besten? Am Anfang, in der Mitte oder am Ende?" Worauf Silke Schermann nichts anders antworten konnte als: "Je nachdem. Am Anfang, in der Mitte oder am Ende." Eine weitere Frage: "Was ist wichtiger (beim Gedichte schreiben), das Machen oder das Verstanden werden?" Silke Scheuermann versuchte zu relativieren, das Machen sei ja schließlich zuerst, und wenn das Gemachte dann auch noch verstanden würde, wäre das schon gut. Schließlich wolle sie ja auch Bücher verkaufen. Dieser Gedanke wurde von Eva Demski abgeschmettert. Das sei ja wohl kein Ziel. Paulus Böhmer antwortete, wie nicht anders zu erwarten, dass das Machen das Wichtigste sei. So ging es fort.
Die Erkenntnis, die das Publikum "wie Vögel im Kopf" mit nach Hause nehmen konnte, nachdem Eva Demski es geschafft hatte, eventuelle Fragen zu unterdrücken: Nicht jeder begnadete Dichter ist ein ebensolcher Vorleser oder Moderator, und die wunderbaren Gedichte muss man einfach selbst lesen, um ihre Schönheit und Wortgewaltigkeit genießen zu können.

Wiesbadener Kurier Stadtausgabe vom 05.06.2013, Seite 20

Samstag, 27. April 2013

27. April 2013

Wiesbaden persönlich

5 Wenn über 200 Krimi-Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Gipfeltreffen der Branche, der "Criminale", zusammenkommen, sind stets auch "Dostojewskis Erben" aus Wiesbaden darin verwickelt. In diesem Jahr war Bern Schauplatz des viertägigen Literaturfestivals mit rund 100 Lesungen. Die Krimi-Hochburg Wiesbaden vertraten unter anderem (v.l.): Karsten Eichner , Alexander Pfeiffer , Richard Lifka , Almuth Heuner und Michael Kibler .

Interesse an denen neben der Spur

 

Von Richard Lifka
WIESBADEN . Die Regisseurin und Filmemacherin Stella Tinbergen erhält in diesem Jahr das Christa-Moering-Stipendium der Stadt Wiesbaden, das seit 2009 jährlich zu Ehren der Wiesbadener Ehrenbürgerin in wechselnden Sparten vergeben wird.
Voraussetzung für die Verleihung ist, dass der Wohn-, Arbeits- oder Geburtsort der Künstlerin oder des Künstlers Wiesbaden ist. Mit dem Preisgeld von 5000 Euro sollen die künstlerischen Leistungen geehrt und die weitere künstlerische Entwicklung gefördert werden. Nach den Sparten Bildende Kunst (Nicole Ahland), Tanz (Desirée Lehmann-Carpzov Alvarez) und Schauspiel (Franziska Werner) wurde im letzten Jahr das Bewerbungsverfahren in der Sparte Film ausgeschrieben.
Nun hat die Jury entschieden und Kulturdezernentin Rose-Lore Scholz zu einer Pressekonferenz ins Rathaus eingeladen, um die Preisträgerin vorzustellen. Die in Wiesbaden geborene und lebende Stella Tinbergen bewarb sich mit einem Exposé zu dem Dokumentarfilm "Hanna Bekker vom Rath - Botschafterin der Kunst" und reichte als "Arbeitsprobe" den Film "Otto Ritschl - Das Leuchten der Farben" ein. "Mich interessieren vor allem Menschen, die nicht in der Spur sind. Starke, mutige Menschen", schilderte die Filmemacherin die Auswahl der Persönlichkeiten, über die sie eine Dokumentation macht oder machen will.
Genauso eine Person sei Hanna Bekker von Rath gewesen. Die 1893 in Frankfurt geborene Malerin, Sammlerin und Kunsthändlerin hätte sich ihr Leben lang für die Förderung von Künstlern eingesetzt. So habe sie im Nationalsozialismus heimlich Ausstellungen von verbotenen Malern organisiert oder in den 50er Jahren den Expressionisten Ludwig Meidner aus einem Altersheim geholt und ihm ein Haus zur Verfügung gestellt.
Nimmt man zu dem Film über Otto Ritschl und den über Hanna Bekker von Rath noch den Dokumentarfilm über Marianne von Werefkin hinzu, so wird die Vorliebe Tinbergens nicht nur für die Malerei deutlich, sondern es zeigt sich auch immer ein Bezug zu Alexej Jawlensky und so wieder nach Wiesbaden.
Wie Stella Tinbergen sich ihren Figuren nähert, wie sie die verschiedenen Facetten und die Entwicklung einer Persönlichkeit aus verschiedenen Blickwinkeln filmisch herausarbeitet, beeindruckte die Jury sofort und sprach ihr deshalb den Preis zu. Die Kulturdezernentin versprach, dass zur offiziellen Preisverleihung im Herbst der Film "Hanna Bekker vom Rath - Botschafterin der Kunst" im Caligari zu sehen sein wird.

Wiesbadener Kurier Stadtausgabe vom 27.04.2013, Seite 21

Mittwoch, 6. Februar 2013

Jan Seghers stellt beim Rheingau Literatur Festival seinen noch unveröffentlichten Krimi vor

Das Rheingau Literatur Festival ist immer für eine Überraschung gut. Nicht was die Lokalität anbelangt, denn das Kellergewölbe der Sektkellerei2013 02 01 Lesung Jan Seghers Bardong in Geisenheim gehört schon lange zu den Stammplätzen dieser Veranstaltung. Nicht was den Moderator und künstlerischen Leiter Heiner Boehncke und auch nicht was den Gast betrifft. Der in Frankfurt lebende Autor Jan Seghers war nicht zum ersten Mal eingeladen.

Die Überraschung war der Text, den Matthias Altenburg (so sein wirklicher Name) mitgebracht hatte. Es war ein unfertiger Text, ein Roman in Arbeit, am Anfang des Entstehens, oder wie Boehncke meinte, wie der 2012er Rheingauer Riesling im Gärungsprozess. Im Gegensatz zum Wein, der dieses Jahr noch auf die Flaschen gezogen wird, sei das Veröffentlichungsdatum des Krimis unbekannt, läge in weiter Ferne. Es sei vorweggesagt: Spannender und interessanter kann eine Lesung nicht sein.

Tatort Schwarzenfels

Gespannt war der Autor, wie das wirken würde, was er im stillen Kämmerlein geschrieben, was noch kein Lektorat durchlaufen und was noch nie vorgelesen wurde. Gespannt war das Publikum, welcher Fall Hauptkommissar Marthaler in dem neuen, langersehnten Krimi erwartet und ganz besonders der Moderator.

Denn Seghers war bei der Suche nach einem Handlungsort auf Schwarzenfels gestoßen. Schwarzenfels ist ein Ortsteil von Sinntal im Main-Kinzig-Kreis und der Geburtsort Boehnckes. Wie wichtig gerade dieses „Anfangs-Setting“ für ihn sei, betonte der Autor mehrmals. In entspannter und lockerer Atmosphäre erzählte er, wie er auf den Plot kam, also die Haupthandlung von „Die Sterntaler-Verschwörung“ (so der vorläufige Titel).

Das waren zum einen die Hintergründe und die damit verbundene Wirtschaftskriminalität im Zusammenhang mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens, zum anderen die Vorgänge nach der hessischen Landtagswahl 2008 und dem Scheitern der SPD-Kandidatin Andrea Ypsilanti sich zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen.

Jan Seghers ließ sich nicht überreden, mehr zu verraten, wenn Boehncke es auch immer wieder versuchte. Das sei alles noch nicht spruchreif. Da verrieten die Textpassagen, die er vorlas, wesentlich mehr. Die erste Szene spielt in einem Flugzeug, ein langjähriger Ministerpräsident, momentan nur geschäftsführend, kehrt von einer Auslandsreise zurück, und zwar genau in der Situation nach dem Wahl-Patt 2008.

Die zweite Passage spielt im schon erwähnten Schwarzenfels und ist dermaßen spannungsgeladen, dass es plötzlich totenstill wurde, kein Laut im Kellergewölbe zu hören war, außer der tragenden Stimme des Erzählers.

Ein künftiger Bestseller?

Ein erleichtertes Aufatmen ging durchs Publikum, als Seghers aufhörte und gleichzeitig ein enttäuschtes Stöhnen darüber, dass die Geschichte endete. Wenn das Buch das hält, was die beiden vorgetragenen Auszüge versprechen, dann kann es nur ein Bestseller werden.

05.02.2013 - GEISENHEIM

Von Richard Lifka

Freitag, 18. Januar 2013

Gefundenes und Erfundenes

 

Wiesbaden . Viele wollten die Schriftstellerin Ursula Krechel sehen und lesen hören. Das war vorhersehbar. Hat sie doch 2008 mit ihrem Buch "Shanghai fern von wo" den Durchbruch als Romanautorin geschafft und dafür unter anderem den Rheingau-Literaturpreis erhalten. Ebenso wurde ihr der Wiesbadener Lyrikpreis "Orphil" verliehen. Ihr neuer Roman "Landgericht", für den sie den Deutschen Buchpreis erhielt, spielt in Mainz. Also jede Menge Gründe, eine Lesung mit ihr zu besuchen.
Gut besucht
Die Ausstellungshalle des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst war dementsprechend gut gefüllt. Der Journalist Andreas Platthaus stellte die Autorin vor. Er sprach mit ihr über das "Landgericht" und Krechels Recherchen zum Thema "das Elend in der Emigration und das Scheitern nach der Heimkehr". Ebenso über ihre Suche nach der Erzählperspektive und dem Abwägen, wie viel Gefundenes ins Werk einfließen dürfe und müsse.
Das begann schon mit der Namensfindung für die Romanfiguren, beispielsweise für den Protagonisten Richard Kornitzer, der 1948 aus dem Exil auf Kuba nach Deutschland zurückkehrt und dessen Name zwar einen jüdischen Klang haben sollte, aber wiederum auch nicht zu deutlich.
Ursula Krechel berichtete, dass sie bereits 1980 anfing, sich für das Schicksal der aus Hitler-Deutschland nach Shanghai geflohenen Emigranten zu interessieren. Nach intensivem Forschen in Archiven, vielen Gesprächen mit Betroffenen und deren Nachfahren, habe sich das Material angesammelt, mit dem sie versuche, Dokumentarisches mit Fiktionalem zu verknüpfen und dennoch die Übergänge deutlich beizubehalten. Zunächst in Hörspielen realisiert, habe sie dann in "Shanghai fern von wo" und besonders in "Landgericht" die geeignete Form gefunden.
Schlechte Raumverhältnisse
Man hatte sich entschieden, dass Ursula Krechel nach der Gesprächsrunde eine lange Passage aus "Landgericht" las. Keine gute Entscheidung. Unter den schlechten Verhältnissen in der Ausstellungshalle litt das Publikum ebenso wie die Autorin. Die Zuhörer versuchten sich mit ihren Winterjacken vor der Kälte, Ursula Krechel mit einem Schal ihre Stimme zu schützen. Bleibt die Frage, wofür Wiesbaden ein teuer renoviertes, wunderbares Literaturhaus hat, wenn Lesungen in einem kühlen, atmosphärelosen und mit bescheidener Akustik ausgestatteten Raum stattfinden. Die Begründung, dass die Nachfrage zu groß war, in der Villa Clementine weniger Plätze zur Verfügung stünden, zieht nicht. Jeder Raum hat seine Grenze. Wenn die Veranstaltung ausverkauft ist, ist sie das eben.
Der Roman "Landgericht" wird als nächster Fortsetzungsroman in dieser Zeitung zu lesen sein.

Wiesbadener Kurier Stadtausgabe vom 18.01.2013, Seite 18

Von Richard Lifka

Dienstag, 15. Januar 2013

Auf dem Tattoo grinst ein Frosch

 

Wiesbadener Kurier Stadtausgabe vom 15.01.2013, Seite 16

Von Richard Lifka
Wiesbaden . Das Unglück begann damit, dass kurz vor Mitternacht die Beatles anfingen "Good morning, good morning ..." zu singen und Feuerbach aufs Display des Mobiltelefons schaute: Nadeshda! "Das muss jetzt aber wirklich wichtig sein", brummte er.
Diese Gedanken setzen sich aus Erinnerungsfetzen allmählich zusammen, während Frederic sein Bewusstsein wiederlangt. Er spürt jeden einzelnen Knochen und sein rechter Arm brennt, als ob er auf einem Grill läge. Natürlich ein homöopathisches Mittel musste es sein. Typisch Nadeshda.
Fieber, Husten, Schnupfen und Halsschmerzen - ein grippaler Infekt und die junge Dame gelüstete es nach etwas Naturheilkundlichem. Aconitum, Chamomilla und Mercurius solubilis. Ihr Freund hielte sich wieder mal auswärts auf, also sei Feuerbach ihr Retter in höchster Not. Wer konnte da schon nein sagen?
Auf dem Motorroller
Er versucht die schweren Augenlider zu heben und gibt es sofort auf. Stattdessen stochert er weiter im Nebel vergessener Vergangenheit. Er saß auf Nadeshdas Motorroller und fluchte. Nicht nur, dass es nach Mitternacht war und nur die Notdienstapotheken in Breckenheim gewünschte Wundermittel vorrätig hatte, es setzte auch noch ein heftiges Schneegestöber ein, als der Detektiv den Kreisel vor Breckenheim erreichte. Im Schritttempo fuhr er die Alte Dorfstraße entlang. Laut Google Maps musste zunächst links die Sparkasse kommen. Anschließend erst der Dorfplatz, danach die Kirche und dann, ebenfalls auf der rechten Seite, die Apotheke.
"Irgendetwas ist mir aufgefallen", murmelt er leise, worauf ein deutliches "Ich glaube, er wird wach", zu hören ist. Woher kommt diese Stimme? Egal, beschließt er, ich muss weiterdenken.
Vor der erleuchteten Bankfiliale stand ein Kombi, grau vielleicht. Ein Mann stieg aus, untersetzt und, und? Was war da? Eine Wollmütze, okay, noch was - das Gesicht. Richtig, das war eine Grimasse ...
"Meinen Sie, das wird heute noch was?" Eine Männerstimme. "Feuerbach ist hart im Nehmen." Eine Frauenstimme - Nadeshda, nasal, verschnupft und krächzend. Frederic entscheidet sich, auch diese Erkenntnis zu ignorieren und lieber seinen Gedanken nachzuhängen.
Der Apotheker war ziemlich müde, aber nett und packte sofort Nadeshdas gewünschte "Kügelchen mit der sanften Heilwirkung" in eine Plastiktüte. Mittlerweile war Breckenheim unter weißem Puder begraben und der Straßenverlauf kaum noch auszumachen.
Und dann bin ich los gefahren, grübelt der Detektiv, und dann ... hat´s mich vom Roller geschmissen. Warum? Ich habe zur Bank hingeschaut und "da ist was explodiert", ruft er laut.
"Richtig!", kommt es prompt von nebenan. Nun musste er wohl doch die Augen öffnen und der Realität ins Antlitz blicken. Eine weißgetünchte Decke kristallisiert sich aus dem Schleier. Er bewegt die Pupillen nach rechts, erkennt Nadeshdas Gesicht. "Was machst du an meinem Bett?" "Krankenbett, um genau zu sein", antwortet sie, und die Erleichterung ist ihrer verschnupften Stimme anzuhören. "Wieso?" "Naja. Wenn man dich zur Apotheke schickt, landest du prompt im Krankenhaus. Und die Schlafstätte dort nennt man halt Krankenbett. Ein Hüsteln kommt von rechts. Frederic dreht zeitlupenhaft den Kopf.
"Entschuldigen Sie, Herr Feuerbach. Ich bin Kriminalhauptkommissar Maus vom LKA. Könnten Sie mir ein paar Fragen beantworten?" "Klar, kann er. Meinen Chef bringt so eine Sprengung doch nicht zum Schweigen", wirft Nadeshda eilig ein. "Sprengung? Was ist explodiert?" "Der Bankautomat der Breckenheimer Sparkasse", fuhr der Polizist fort.
"Das war jetzt der neunte Überfall im Rhein Main Gebiet. Immer die gleiche Vorgehensweise. Der Typ platziert einen Sprengsatz am Automaten, legt eine Lunte bis raus vor die Tür und jagt das Ganze in die Luft. Rafft schnell die herumfliegenden Scheine zusammen und verschwindet. Der Schaden ist meist höher, als die Beute. Mal ein paar Tausender, aber auch mal nur einen Hunderter. Je nachdem, wie effektiv die Sprengung war. Allerdings in Breckenheim hat er wohl ein bisschen viel Semtex genommen. Die Druckwelle war so groß, dass es Sie vom Motorroller gefegt hat."
"Ich dachte, ich sei im Schnee ausgerutscht ... das ist ja richtig brachial. Haben Sie ihn denn geschnappt? Nadeshda, bitte tue mir den Gefallen und höre auf rumzuzappeln. Das Bett wackelt wie Pudding ..."
"Sorry, aber es ist doch klar, dass der Kerl abhauen konnte. Sonst würde der Kommissar dich kaum in deiner wohlverdienten Ruhe stören. Woran kannst du dich erinnern?" "Frau Beck, bitte. Überlassen Sie die Befragung mir. Also, Herr Feuerbach." "Ein Mann mit Maske, untersetzt, ein dunkelfarbener Wagen, dann bin ich gestürzt ..." Der Detektiv schließt die Augen.
Er schlug um, der Roller rutschte weiter. Frederic blieb liegen, direkt neben dem grauen Kombi. Verdammte Schmerzen, überall. Konnte nicht aufstehen, versuchte zum Gehweg zu kriechen. Unmöglich. Plötzlich eine Hand. Fasste ihn an der Jacke, zog ihn von der Straße. Feuerbach stöhnte: "Holen Sie einen Arzt." Keine Antwort. Die Hand ließ los. Gedämpfte Schritte im Schnee. Ein Motor wurde angelassen. Ein Auto fuhr fort.
Er schüttelt schwach den Kopf. "Nichts." Der Kommissar zeigt ihm Fotos. Aufnahmen von Kameras in den Automatenräumen. "Immer derselbe Typ. Klein, dicklich, Trainingsanzug und eine Halloween-Maske vorm Gesicht. Keine Fingerabdrücke, weil er Handschuhe trägt. Wir kommen keinen Schritt weiter".
Die Hand war nackt. Ganz deutlich die Hand, bevor sie seine Jacke packte.
Auf dem Handrücken
Kurze Finger, abgekaute Nägel und ... und ... "Eine Tätowierung", stößt der Detektiv hervor. "Er hat auf dem Handrücken ein Tattoo. Ich sehe es genau vor mir. Das war ein, ein Frosch. Ja, sicher: ein grinsender Frosch."
Einen Tag später tritt Nadeshda an Feuerbachs Krankenbett. "Du bist ein Held. Stell dir vor: Der Bankautomatensprenger heißt Frosch. Peter Frosch. Er und sein Tattoo waren beim LKA aktenkundig. Wie blöd kann man nur sein! Zur Belohnung habe ich dir ein paar leckere Globuli mitgebracht. Rhus Toxicodendron, Bellis Perennis und ein paar Arnikakügelchen, natürlich."