Samstag, 5. Mai 2007

Gruselfans unterm Goethestein

Kulturtage: Krimineller Spaziergang durch Frauenstein
Zum ersten Mal lädt Frauenstein zu seinen Kulturtagen ein.

Diesmal zog der Frauensteiner Journalist und Autor Richard Lifka zahlreiche Gruselfans zum Goethestein, dem Startpunkt seines "kriminellen Spaziergangs" durch den Stadtteil. Ehrengast war der Dichterfürst selbst.
Nicht unter einem beliebigen Motto stehen die unterschiedlichen Veranstaltungen der Initiative Frauenstein und des Ortsbeirates. Meist wird zu Ehren von Johann Wolfgang von Goethe eingeladen, denn der Bau des Goethesteins hoch über dem Stadtteil, der zum einhundertsten Todestag des berühmten Gastes Frauensteins errichtet wurde, jährt sich in diesen Tagen zum 75. Male. Grund genug, sich nicht allein an den Besuch des Geheimrates im Juli des Jahres 1815 auf dem "Spitzen Stein" hoch über der Ortschaft zu erinnern, sondern auch den Bau des schmalen, leicht pyramidenförmigen Monuments an Goethes Ausflugsziel wieder aufleben zu lassen. Krimiautor Richard Lifka sollte dies sogleich in äußerst spannender Art versuchen.Zuvor ließ der Schriftsteller Goethe selbst ans Mikrofon. Mit "hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein", begrüßte dieser alias Andreas Döbelin in Perücke, samtenem Gehrock und Kniebundhosen seine rund zwei Dutzend Zuhörer und erinnerte an die Rast des Dichters hoch über den Dächern Frauensteins mit herrlichem Blick über das Rheintal bis hinüber in die Pfalz, an dem sich nach beinahe zwei Jahrhunderten nichts geändert hat.
"Ich bin nicht ganz so groß wie Goethe" erklärte Kollege Lifka alsbald bescheiden und schraubte das Mikrofon an seinem Ständer um einige Zentimeter nach unten. Sein erstes Thema habe er allerdings nicht allein am Frauensteiner Goethestein spielen lassen, sondern dem ersten Erfolg des Dichterfürsten entlehnt. Ebenso wie in dessen "Leiden des jungen Werthers" habe hier ein junger Frauensteiner seine Liebste an einen Konkurrenten verloren und berichte einem Freund von der anderen Rheinseite nun in ebenso herzzerreißenden wie grausamen Zeilen von seinem Leid.
Fünf Jahre ist Lifkas Szenario her. Frauenstein feierte gerade das siebzigjährige Bestehen des Monumentes auf dem "Spitzen Stein", als ein Mainzer Literaturwissenschaftler, der die Festrede zur offiziellen Feierstunde halten soll, auf drei merkwürdige Briefe stößt. Anfang 1931 spielt der erste des Trios. Neben allerlei deutscher und auch Frauensteiner Zeitgeschichte finden sich die Liebesqualen eines jungen Dorfbewohners, der seine Anna an den Baumeister des Goethedenkmals verloren hat. Selbstmordphantasien fabuliert der liebestolle Frauensteiner in seinem zweiten Brief, den er zehn Monate später verfasst. Nun ist die Angebetete verlobt und der Verschmähte empfindet nur Abscheu, wenn er an ihren Zukünftigen denkt.
Ein Gefühl, welches der mit dem Bau des Monumentes hoch über Frauenstein beauftragte junge Mann in seinem dritten Schreiben noch näher beschreibt. Zudem plagt ihn nun sein schlechtes Gewissen, denn Annas Zukünftiger ist verschwunden, vermeintlich in Amerika, doch vielmehr wohl tief unter dem Goethestein, in dessen Fundament aus Beton zu finden.
Wem beim Anblick des vier Meter hohen Denkmals nun bereits das Blut in den Adern gefror, sollte an der nächsten Station der kleinen Reise durch das Dorf noch sein kriminelles Wunder erleben, denn nun beschwor Lifka im Rahmen seines "Armen Ritters" unter der Burg ein derart blutiges Szenario herauf, dass es seinen Zuhören ganz rot vor Augen werden sollte. Schnell gings nun noch zur "Blutlinde" an der Kirche, denn dort wartete der zweite Teil der gruseligen Geschichte rund um den jungen Frauensteiner Müllarbeiter Siegfried, der aus verschmähter Liebe und gekränkt vom Freund der Angebeteten erst die beiden grausam dahin metzelt und dann sich selbst vom Burgfelsen stürzt.

Mittwoch, 18. April 2007

Krimi, Sekt und Saumagen

Die Criminale an der Deutschen Weinstraße
Vom 18.04.2007
Von Richard Lifka

WIESBADEN Vom 18. bis 22. April sind die Städte und Gemeinden entlang der sich von Bockenheim im Norden bis an die französische Grenze hin erstreckenden Tourismus-Route "Deutsche Weinstraße" nicht nur Treffpunkt von Wein- und Sektgenießern, sondern auch ganz auf Krimi eingestellt. Zum 21. Mal treffen sich die Mitglieder des "Syndikats" (der Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren) dieses Jahr zu ihrer "Criminale", dem größten Festival deutschsprachiger Kriminalliteratur, in der Pfalz. Schon vor der Verleihung der begehrten Friedrich-Glauser- Preise (für den besten Kriminalroman, das beste Debüt und den besten Kurzkrimi 2006) und des Hansjörg-Martin-Preises (für den besten Kinder- und Jugendkrimi 2006) bei der Abschlussveranstaltung "Tango Criminale" am 21.04. in Neustadt, ist die gesamte Region fünf Tage lang in literarisch-krimineller Hand. Etwa 180 Autorinnen und Autoren, darunter Bestsellerautoren wie Ingrid Noll und Jacques Berndorf, werden bei über 100 Veranstaltungen in vierzig Orten dafür sorgen, dass die Krimifans auf ihre Kosten kommen. Die bekannte Vorliebe der Pfälzer zu leiblichen Genüssen in fester und vor allem auch flüssiger Form wird dabei natürlich nicht unberücksichtigt bleiben. Bei fast allen Lesungen gibt es nicht nur was zu hören und zu sehen, sondern werden auch Wein- und Sektproben durchgeführt oder köstliche Menus serviert. Wer dabei an einen deftigen Saumagen denkt, liegt sicherlich nicht ganz falsch. Wie es der Zufall so will, findet gleichzeitig die "Pfälzer Wein- und Sektmesse" statt und gehört somit auch zu einem der mörderischen Schauplätze. Um nach all den Kalorien etwas für seine Figur zu tun, kann man an einer Sauna-Lesung teilnehmen, den "FC Criminale" (die Fußballmannschaft der Krimiautoren) bei ihrem Spiel gegen die "Pfälzer-Ausles" zuschauen und die "Krimiautorinnen-Cheerleader-Formation" kräftig unterstützen. Etwas gemütlicher geht es zu, wenn Vorleser und Zuhörer im historischen Dampfzug "Kuckucksbähnl" von Neustadt nach Elmstein fahren. Schon die Auftaktveranstaltung im Reptilium in Landau verspricht hochkarätiges, wenn Sabine Deitmer, Barbara Krohn, Jacques Berndorf und Jürgen Kehrer zur Musik der Krimi-Kultband "Boogaloo" Textpassagen aus eigenen Werken und aus Klassikern des Genres zu einem neuen Fall der Fälle vereinigen, zu einer Krimi-Sinfonie. Auch für den Nachwuchs wird gesorgt. Im Bad Dürkheimer "Haus Cartoir" und im Landauer Zoo gibt es einen Krimitag, mehrere Schulprojekte beschäftigen sich mit Kriminalliteratur, außerdem wird es eine Veranstaltung mit dem sAutor und ehemaligen Drogenfahnder Jörg Schmitt-Kilian für Jugendliche geben. Nach seinem Buch ist der Film "Jenny" entstanden, der von der Gefahr der Drogensucht handelt. Rechtzeitig zur Criminale erscheint die Krimianthologie "Tatort Deutsche Weinstraße" mit 18 Kurzkrimis. Schon im Sommer letzten Jahres wurden die Autorinnen und Autoren von den jeweiligen Gemeinden eingeladen und haben vor Ort recherchiert. Die Ergebnisse dieser Tatortbegehungen, beispielsweise was es mit "Des Kanzlers Kreditkarte", "Dem Schweigen in Schweigen" oder der "Eselei auf der Madenburg" auf sich hat, kann der Pfalz- und Krimiliebhaber während oder nach dem Festival in genüsslicher Gespanntheit nachlesen.

Montag, 12. März 2007

Große Resonanz auf Werkstatt "MordVersuch"

FLÖRSHEIM Mit einer so großen Resonanz auf das Angebot der Schreibwerkstatt "MordVersuch - Oder wie schreibe ich einen Krimi" hatte die Leiterin der Stadtbücherei, Brigitte Raddatz, nicht gerechnet. Sie musste viele Interessenten auf eine Warteliste setzen. Jetzt treffen sich acht Teilnehmer und drei "Gasthörer" an drei Samstagen mit dem freien Journalisten und Krimi-Autor Richard Lifka mit dem Ziel, eine eigene Kriminalgeschichte zu entwickeln.

"In der Realität töten Frauen mit Gift, Männer mit Waffen. Doch in meinen Ausbildungskursen im `Syndikat Rhein-Main` für angehende Autoren kann ich keinen Qualitätsunterschied zwischen Frauen und Männern feststellen", so Lifka, der unter dem Pseudonym "Elka Vrowenstein" publiziert. Entwickelten Frauen eine Geschichte eher von einer Person, so wählten Männer lieber ein Ereignis für ihren Krimi.

"Schreiben kann man lernen, Kreativität aber ist nicht zu vermitteln", begrüßte Richard Lifka seine Schüler, die bis aus Weilburg und Frankfurt gekommen waren. 90 Prozent beim Schreiben sei "Handwerkszeug", fünf Prozent Kreativität und weitere fünf Prozent "Disziplin und Schweiß".

Am Samstag ging es in der ersten Runde um Theorie, Plotentwicklung, und Ideenfindung. Am nächsten Wochenende lernen die Schreibwerkstatt-Teilnehmer viel über Erzählerhaltung, Erzählweise und Stil. Am letzten Vormittag werden die Geschichten, die als "Hausaufgaben" verfasst wurden, ausgefeilt. Am Ende dieses Krimi-Schreibseminars steht die Präsentation am 26. März um 20 Uhr in der Bücherei. Dann werden die besten Kurzkrimis vorgestellt. Dazu werden Richard Lifka und seine Kollegin Susanne Kronenberg aus ihren eigenen Werken vorlesen.

Am Tag die Stadt erkunden und in der Nacht schreiben

Die Stipendiaten des Hessischen Literaturrats in Wiesbaden
von Richard Lifka

WIESBADEN Unterschiedlicher könnten sie nicht sein. Auf der einen Seite die in Kanada geborene und in Bordeaux lebende Mariane Fiori, auf der anderen der in Vilnius beheimatete Marius Ivaskevicius. Beide Schriftsteller und als Stipendiaten des Hessischen Literaturrates zu Gast in Wiesbaden.
Sie habe sich die Stadt erwandert, ohne Ziel sei sie losgegangen, um dort zu verharren, wohin ihre Füße sie trugen, schildert Mariane Fiori mit leiser Stimme die Eindrücke ihres zweimonatigen Aufenthalts in der Landeshauptstadt. Ihr sei aufgefallen, dass im Krieg wenig zerstört worden sei, die Stadt habe ihre Atmosphäre behalten, im Vergleich zu Frankfurt oder Offenbach beispielsweise, wo sie zu Lesungen war. Das Thema Zweiter Weltkrieg beschäftigt sie. Sie gehöre zu der Generation, die in den 80er Jahren in Frankreich begonnen habe, die Rolle des Vichy-Regiems aufzuarbeiten, über das Schicksal der Juden öffentlich nachzudenken. Deshalb spiele ihr Roman "Junges Blut" (1989 in Frankreich, übersetzt 2002 bei dtv) in den 40er Jahren. Dafür habe sie intensiv recherchiert. Mittlerweile hat sie fünf Theaterstücke geschrieben, Texte für Kinder, Oper und Ballett. Aber nicht nur Literatur und Theater interessiert sie. Neben dem Studium hat sie eine Ausbildung als Trapez-Artistin und Barock-Tänzerin absolviert.
Ganz anders der offene und selbstbewusste Litauer. Drei Mal war er schon in Wiesbaden. Schließlich ist er der litauische Pate für die Wiesbadener Theaterbiennale "Neue Stücke aus Europa". Marius Ivaskevicius, einer der bedeutendsten Gegenwartsautoren Litauens, Journalist, Prosa- und Drehbuchautor, Dramatiker und Regisseur fühlt sich wohl in Wiesbaden. Zwar kann er sich nicht vorstellen, hier zu wohnen, dafür sei ihm die Stadt zu klein. Dennoch war dieser Aufenthalt im Rahmen des Stipendiums für seine schriftstellerische Arbeit anregend und nicht mit den anderen `Gastspielen´ zu vergleichen. Während der Biennale komme er eben kaum aus dem Theater heraus. Jetzt habe er Zeit gehabt, die Stadt kennen zu lernen, herumzureisen und, vor allem nachts, viel zu schreiben. Sein neuer Roman spiele zu großen Teilen in Frankfurt und die Recherche vor Ort, sei sehr motivierend.
Mit seinem Programm ist es dem Literaturrat gelungen, einen weiteren kulturellen Austausch mit europäischen Partnerregionen Hessens in die Wege zu leiten. Es ist zu hoffen, dass wir schon bald wieder Gäste begrüßen können, genauso wie hessische Künstler in die Partner-Regionen reisen werden. Mariane Fiori und Marius Ivaskevicius, so unterschiedlich sie auch sind, sie haben gemeinsam, dass sie ein Stück Wiesbaden, ein Stück Hessen mit in ihre Heimat nehmen.

Donnerstag, 1. März 2007

Klischees abbauen, Grenzen überwinden

Deutsch-Polnische Gesellschaft im Kulturforum: Literatur und Jazzmusik aus dem Nachbarland

Von Richard Lifka

WIESBADEN Sie endete mit einem Paukenschlag - die Veranstaltung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Mainz-Wiesbaden (dpg). Das heißt, es waren eigentlich viele Paukenschläge, Trommelwirbel, Tamburinklänge, Wind- und Regengeräusche, die den literarischen Abend mit polnischer Lyrik und Prosa ausklingen ließen. Der Jazzmusiker Janusz Maria Stefanski war einer der Gäste, die die dpg mit Unterstützung des Kulturamts und der Hessischen Staatskanzlei zum Thema "Grenzen überschreiten - poetisch, provokant, polnisch" eingeladen hatte. Ein anderer angekündigter Gast, der in Poznania lebende Lyriker Mariusz Grzebalski hatte aus familiären Gründen kurzfristig abgesagt. Drei seiner Gedichte trug die Übersetzerin Agnieszka Kaluza im Original vor und der Moderator Reinhard Lauterbach die deutschen Übersetzungen. Die als surrealistische Provokationen angekündigten Gedichte hatten, für deutsche Ohren zumindest, wenig Aufrüttelndes: "Wir liegen auf dem Steg, ich schlafe fast, / du trägst eine lila Bluse / und das ganze Foto ist lila, ." (Stiefeletten in Orange) oder "Alles ist jetzt so famos und grandios / Auf dieser famosen und grandiosen Welt. / Alle sind so toll. Sogar der Tod, / fürchte ich, leuchtet mit dem Glanz der Geburt ..." (Famos und grandios). Worüber dann auch nicht mehr gesprochen wurde, weder vom Moderator noch später während der Fragerunde mit dem Publikum.

Ganz anders die in Berlin lebende Schriftstellerin Natasza Goerke, die gut gelaunt ihren Essay "Multigemüsecocktail" vorlas und sich köstlich amüsierte, wenn sie über schwer aussprechbare deutsche Wörter stolperte. Dies hatte Charme und lockerte die zunächst etwas steife Atmosphäre merklich auf. Angestoßen durch Natasza Goerkes Bemerkungen in der vorgelesenen Textpassage über die sich veränderten Klischees der Polen den Deutschen gegenüber und umgekehrt, drehte sich die Diskussion hauptsächlich darum, dass sich die Menschen beider Nationen viel ähnlicher sind, als sie es selbst wahrhaben wollen. Diese Bilder könnten nur durch einen regen (Kultur-)Austausch korrigiert werden, wie es an diesem Abend versucht wurde; und als Janusz Stefanski zusammen mit dem Publikum eine Klangkollage improvisierte, auch gelang. Da waren die Grenzen nicht nur überschritten, sondern ganz einfach verschwunden.

Freitag, 9. Februar 2007

Alles erfunden, aber nichts gelogen

US-Autorin T Cooper liest aus ihrem neuen Roman "Lipshitz" im Literaturhaus
Von Richard Lifka

Viel Publikum im Literaturhaus anlässlich der Lesung der amerikanischen Schriftstellerin T Cooper: Die schmächtige junge Frau in Flatterjeans und weißem Streifenhemd stellte ihren Roman "Lipshitz" vor (marebuchVerlag). Die nun auch auf Deutsch erschienene Familiensaga, stehe in einer Reihe amerikanischer Romane, die nach dem 11. September die Frage nach Herkunft und Identität stellen, so einleitend Kulturdezernentin Rita Thies. Die Geschichte beginnt, konventionell erzählt, mit der Flucht der Familie des Urgroßvaters Lipshitz 1907 aus Russland und deren Einreise in die USA. Kurz nach der Ankunft geht der jüngste Sohn Ruben verloren und bleibt für immer verschollen. "Für immer" ist für die Autorin allerdings eine relative Wahrheit.
Als die Mutter 1927 in der Zeitung ein Bild des Atlantiküberfliegers Charles Lindbergh sieht, ist sie sicher, in ihm den vermissten Ruben zu erkennen. Die Autorin tut nun alles, uns im Ungewissen zu lassen. Ist er es, oder ist er es nicht? Um dieses Thema kreiste dann auch das Gespräch zwischen T Cooper und der souverän fragenden und übersetzenden hr2-Moderatorin Kathrin Fischer: Was ist wahr, was Fiktion? Bis auf historische Ereignisse, Orte und Zeiten, sei alles erfunden, aber nichts gelogen, so Cooper. Entscheidend sei, dass durch die Erzählung Fiktion zur Wahrheit werde. Was denn sei wahrer: ein Bild des winkenden US-Präsidenten beim Verlassen eines Flugzeugs in Geschichtsbüchern, oder die Suche einer verzweifelten Mutter nach ihrem verlorenen Sohn, von der nie jemand erfahren hätte, wäre es nicht aufgeschrieben? Ein Bruch des Erzählstils fällt auf, als die Geschichte des letzten noch lebenden Nachkommens der Familie Lipshitz Thema wird. T Cooper, so der Name der Romanfigur (!), ist ein ehemaliger Schriftsteller, der im Jahre 2002 als Eminem-Double auftritt. Ganz im Hip- Hop-Ton formuliert hier die Autorin, übernimmt amerikanische Jugendsprache und wechselt in rhythmischen Sprechgesang. Sehr schön nachvollziehbar in der von Cooper gelesenen englischen und von dem Schauspieler Oliver Wronka vorgetragenen deutschen Fassung.

Montag, 5. Februar 2007

Die Kunst ist heiter und sonst gar nichts

Robert-Gernhardt-Abend im Literaturhaus
Von Richard Lifka

WIESBADEN Eng gestellte Stuhlreihen, zusätzliche Sitzplätze im Nebenraum und im Foyer - alles besetzt. Noch manche Besucher mussten enttäuscht, weil sie doch keine Karte mehr bekamen, wieder gehen. Proppenvoll also war es im Wiesbadener Literaturhaus zur "Hommage an Robert Gernhardt", mit den beiden Rezitatoren Jochen Nix und Wolfgang Vater. Mit "Ein Punkt im Raum, ein Nichts im Sein/War da je Strom, je Floß, je Schwein", begann Wolfgang Vaters Bass und Jochen Nix antwortete: "Da haben wir den Salat, ich bin ein Literat".

Und dieser Literat war häufig in Wiesbaden und Umgebung zu Gast. 2001 amüsierte er das Publikum eine Woche lang als Gastgeber der Literaturtage; 2002 nahm er den Rheingau Literatur Preis auf Schloss Vollrads entgegen, und 2004 las er zu Ehren Volker Kriegels im Theater-Foyer. Nun galt es, ihn, den im Sommer vorigen Jahres Gestorbenen, zu ehren - mit den eigenen unverkennbaren und unwiderstehlichen Gedichten. Die prasselten, perlten und krachten über zwei Stunden lang auf die Zuhörer ein und brachten sie mit humorvollen, manchmal sinnvollen, dann wieder sinnlosen Pointen zum Lachen, um sofort wieder in nachdenkliches Schweigen zu wechseln. Zum Glück gab es eine Pause, damit die Gedanken und Gedichte Gernhardts über sich selbst, über Literatur, über Kunst, über Gott, die Welt und Alkohol verdaut werden konnten.

Für diese Hommage hatte Wolfgang Vater Texte von Gernhardt und über den Lyriker, Satiriker und Maler ausgewählt. Was es da zu hören gab, war ein eindrucksvoller Überblick über sein Werk und gab Einblick in die Welt, wie Gernhardt sie sah und beschrieb, auch, was er unter Kunst verstand: "Kunst, das meint vor allen Dingen/andren Menschen Freude bringen/und aus vollen Schöpferhänden/Spaß bereiten, Frohsinn spenden/ denn die Kunst ist eins und zwar/heiter. Und sonst gar nichts. Klar?"

"Der Reim muss bleim" Es hatte bis in die neunziger Jahre gedauert, bis der 1937 in Estland Geborene, als Schriftsteller hier anerkannt wurde. Weder als Satiriker bei "Pardon" und "Titanic", noch als Drehbuchautor für Otto Waalkes Filme, noch als Verfechter von gereimten Gedichten ("Der Reim muss bleim") entsprach er dem, was von damaliger Literaturkritik gut geheißen wurde ("Sich heute noch auf das uralte Reim- und Regelspiel einzulassen, ist, meine ich, schon mal per se komisch"). Doch: "Keinen Künstler haben die Deutschen so geliebt, und keiner liebte sein Publikum so wie er" (Thomas Steinfeld)-bewies auch das große Interesse des Wiesbadener Publikums an dieser Hommage-Veranstaltung.

Samstag, 27. Januar 2007

Darmstädter Amsel, Wiesbadener Nachtigall

Eröffnung des hr2-hörfestes im Literaturhaus in der "Welthauptstadt des Hörens" Wiesbadener Von Richard Lifka

An der Tür zum ersten Stock des Literaturhauses sitzt der Leiter des Kulturamts, Arno Fischer, hinter einer Tuba versteckt, begrüßt die Gäste mit tiefen Tönen und verführt sie, ins Labyrinth des Hörens einzutauchen. Die gesamte Villa Clementine wird an diesem Abend in einen Ort des Hörens verwandelt. Aus dem flämischen Salon ertönen im Wechsel Klavier- und Geigenmelodien, im Großen Salon zwitschern japanische und deutsche Kohlmeisen. Eine Darmstädter Amsel komponiert virtuos, und eine Wiesbadener Nachtigall brilliert mit ihren Soloeinlagen. Ab und zu beginnt der Kronleuchter zu wackeln, wenn im darüber liegenden Seminarraum lediglich mit der menschlichen Stimme der Klang eines Schlagzeugs erzeugt und dazu marschiert und getrampelt wird. Nur in einem Nebenraum herrscht Stille. Dort werden Klangerlebnisse aus mehreren CD-Playern über Kopfhörer abgespielt.
Bevor dieser wahre Hörmarathon begonnen hatte, war in den Räumen des Presseclubs das hr2-hörfest von Rita Thies eröffnet und Wiesbaden von Volker Bernius zum sechsten . Mal zur "Welthauptstadt des Hörens" ernannt worden. Neben all diesen Tönen gab es noch drei Vorträge, die parallel in den jeweils unterschiedlichen Räumen der Villa Clementine gehalten wurden. In den Pausen konnte man sich stärken, austauschen und auf ein neues Hörerlebnis vorbereiten. Ein Fest, das die akustische Welt erschließen, Besinnung herbeiführen sollte. Dies war der Anspruch, der an diesem Abend voll eingelöst wurde.
Dass ein Film nicht nur gesehen, sondern auch gehört wird, meist unbewusst, verdeutlichte der Stummfilm-Musiker Günter A. Buchwald und machte eindrucksvoll am Flügel und mit seiner Geige bewusst, welche Bedeutung Musik für den Film hat, wie sie das Betrachten der Bilder beeinflusst. Etwas anders der Wiener Vocal Percussionist Richard Filz, der ganz praktisch mit seiner jeweiligen Gruppe Techniken einstudierte, wie man mit Mund und Stimme Rhythmen erzeugen kann. Dem Bio-Akustiker und Ornithologen Bernd Petri gelang es, mit selbst aufgenommenen Vogelgesängen und Naturgeräuschen den Zuhörern zu verdeutlichen, dass sie selbst, allein beim Hören von Vogelstimmen, Jahreszeit, Wochentag und Ort bestimmen konnten, an dem die Aufnahmen gemacht wurden. Man muss eben nur gut zuhören.

Freitag, 5. Januar 2007

Lesemarathon

Zu einem Marathon hatte die evangelische Kirche in Bierstadt geladen – zu einem Marathon der ganz besonderen Art. Nicht 42,195 Kilometer galt es zu bewältigen, sondern fast zwölf Stunden voller Literatur, vorgetragen von 33 prominenten Zeitgenossen beim Lesemarathon im ältesten Gotteshaus Wiesbadens.
Aus Fernsehen, Sport, Politik, Kirche und Kunst bekannt waren die Gäste, die alle spontan und gerne ihre Zusage gegeben hatten.„Wir waren wirklich überrascht, welch positive Resonanz wir auf unsere Anfragen erhalten haben und wie schnell sich unsere Liste der Vorleser gefüllt hat“, freute sich Kirchenvorsteher Werner Born. „Dafür allen Beteiligten unseren herzlichen Dank“. So kamen die Besucher in den Genuss, höchst unterschiedliche Persönlichkeiten beim Vorlesen ebenso unterschiedlicher Literatur zu erleben: Lese- und Redeprofis ebenso wie jene, die noch niemals in der Öffentlichkeit gelesen hatten. Heiteres und Besinnliches, Komik und Melancholie, Politik und Klassik, alles hatte dabei seinen Platz.
Unterschiedliche Besuchstaktiken zeigten sich bei den Zuhörern. Die einen suchten sich gezielt die Vorleser oder Titel heraus, die sie am meisten interessierten und suchten während ihrer Pause beim gleichzeitig stattfindenden Gemeindebasar Abwechslung oder stärkten sich an Kuchen, Kartoffelpuffern und Würstchen. Andere blieben en suite auf ihrem Platz und hörten einfach allen zu. So wie Margot Seulberger die fünf Stunden hintereinander den Lesemarathon genoss und anschließend total begeistert war: „So viele unterschiedliche Geschichten und interessante Vorleser, das war ein einmaliges Erlebnis“. Hatte sie doch während dieser Zeit Detlev Bendel, Hildegard Bachmann, Martin Seidler, Pfarrer Helmut Marx, Viola Gärtner, Dr. Hans-Joachim Jentsch, Steffen Seibert, Marco Pighetti, Till Krabbe und Ulrike Neradt live erleben können.
Zwei Zeitabschnitte waren extra für Kinder reserviert worden, um den kleinen Leseratten eine Freude zu bereiten. Angelika Thiels, Jan Immel und Benjamin Krämer-Jenster lasen mit viel Begeisterung, vor denen auf den extra ausgelegten Teppichen sitzenden und aufmerksam zuhö-renden Kindern und vielen interes-sierten Erwachsenen. Jüngste Vorleserin war Kira Voll, die im Frühjahr als Siegerin aus dem Vorlesewettbewerb der Bierstadter Grundschule hervorgegangen war. Sie las ebenfalls in der Kinderzeit aus dem Buch „Sams in Gefahr“ von Paul Maar. Die unbestritten meisten Zuhörer lockte Dr. Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der FAZ und Bestellerautor mit seinem Buch „Das Methusalem-Komplott“, in die evangelische Kirche. Mit teils erstaunlichen Zahlen („Jedes zweite heute geborene Mädchen hat eine Lebenserwartung von 102 Jahren“ und „Ein heute 70-Jähriger ist hinsichtlich seiner Zellalterung auf dem Stand eines 55-Jährigen, der Mitte des 20 Jahrhunderts gelebt hat“), die für manches Raunen im Publikum sorgten, begleitet er seinen ebenso anspruchsvollen, wie wissenschaftlich fundierten und interessanten Vortrag. Der in Bierstadt aufgewachsene und in eben dieser Kirche auch konfirmierte Schirrmacher unterstütze die Aktion „Erhalten helfen“ im übrigen nicht nur durch seine Teilnahme am Lesemarathon, sondern auch durch seine großzügige Spende.
Standing ovations erhielt Schauspieler und Radiomoderator Klaus Krückemeyer für seine witzigen Texte von Horst Evers, die er nicht nur einfach vorlas, sondern ebenso komisch wie gekonnt förmlich vorlebte.Doch auch alle anderen, die sich in den Dienst der guten Sache gestellt hatten, durften sich über viel Applaus und begeisterte Zuhörer freuen, die das vom Förderkreis „Erhalten helfen“ am Eingang aufgestellte gläserne Spendenglas immer höher füllten, so dass am Schluss die sensationelle Summe von fast 1700 Euro für die Renovierung der Kirche zusammenkam!
Selbst als die Ziellinie des Marathons ins Sicht kam und die Turmuhr mit immer mehr Schlägen das Fortschreiten der Zeit unüberhörbar ankündigte, harrten die Lesefans in erfreulich großer Zahl aus, um Klaus Angermann, Dieter Zimmer, Rita Thies, Claudia Brillmann, sowie den Dekanen Roth und Heinemann zuzuhören. Den Endspurt hatten Wolli Herber und die Krimiautoren Dieter Schmidt und Richard Lifka übernommen, bevor Gemeindepfarrer Andreas Friede-Majewski mit Nachtgebeten aus fünf Jahrhunderten um 23 Uhr einen besinnlichen Schlusspunkt unter eine eindrucksvolle Veranstaltung setzte.