Samstag, 16. Januar 2010

"Zurück zu den Vögeln"

LESUNG Finale der Poetikdozentur von Marcel Beyer
Vom 16.01.2010
Von
Richard Lifka

WIESBADEN Zunächst verlief alles wie gewohnt. Susanne Lewalter, die Leiterin des Literaturhauses, begrüßte Marcel Beyer, der zum Abschluss seiner Wiesbadener Poetikdozentur noch einmal der Frage nachgehen wollte, welche Spuren Orte, Landschaften und Wörter seines imaginären "Sprachwanderbuchs" in seinen Texten hinterlassen.

Moderator Hubert Spiegel

Allerdings staunten die Zuhörer nicht schlecht, als der Journalist und Moderator des Abends, Hubert Spiegel, ankündigte, dass Beyer nicht aus seinen Büchern, sondern aus dem Buch eines anderen Autors lesen würde. Dieses ungewöhnliche Vorgehen war aber nicht die einzige Überraschung. Der Autor stellte das Buch des Amerikaners Jonathan Trouern-Trend vor. Ein Soldat, der 2004 im Irak stationiert war und diese Zeit in einem Weblog, also einem öffentlich einsehbaren Tagebuch, festhielt.

Aber nicht die Kriegsereignisse, das Land oder die Menschen interessierten Trouern-Trend, sondern Eulen auf Zementbunkern, Bienenfresser auf Starkstromleitungen, bunt gefiederte Eisvögel und Turmfalken in Schutthaufen.

Tagtäglich notierte er, welche Vögel er gesehen hatte, ohne sie zu beschreiben. Auch sonst erfährt der Leser wenig. Weder über den Schreibenden selbst, noch über Ereignisse oder politisch-gesellschaftliche Fragen und Probleme. Für die deutsche Ausgabe des Buches, das unter dem Titel "Birding Babylon - Tagebuch eines Soldaten im Irak" erschienen ist, hat Marcel Beyer das Vorwort geschrieben. Und hier finden wir auch die Schnittstelle zu seinem letzten Roman "Kaltenburg", dessen Hauptfigur ein Ornithologe ist.

Die Natur als Konstante im menschlichen Leben, besonders das Verhältnis Mensch und Vogel, sei ein wichtiges Thema in dem Werk Beyers, betonte Hubert Spiegel und belegte dies mit einer Textpassage aus Beyers Roman "Das Menschenfleisch" (1991), in der die Verwandlung eines Menschen in einem Vogel beschrieben wird.

Ein Platz für Sprachen

Für den deutsche Schriftsteller bedeute das "Zurück zu den Vögeln" eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, für der Soldaten im Irak, ein "Zurück in die Welt". All dies gab Anlass zu vielen Fragen und Gedanken, wobei die Zeit so schnell verflog, dass die von Spiegel anfangs gestellte spannende Frage: "Wie viele Sprachen haben auf einem Vogel Platz?", leider unbeantwortet blieb.